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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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Träume angewiesen, daß sie manchmal nicht aufwachen
wollen. Agnes' Verhältnisse waren ein bißchen anders. Du hast ja die Eltern
kennengelernt. Ihr Vater ist ein erfolgreicher Herzchirurg. Aber wichtiger ist
die Mutter, eine geborene Savage. Alter katholischer Geldadel. Private
Klosterschule, Debütantenbälle und das ganze Drum und Dran. Ich weiß nicht, wie
die Superreichen so leben - auf alle Fälle anders als du und ich. Agnes hat
sich von jeher dagegen gewehrt. Kein Wunder, daß sie von den Bewegungen der
sechziger Jahre mitgerissen wurde. Der Feminismus lag uns beiden dabei besonders
am Herzen.“
    Ich war mir nicht sicher, wieviel Bobby von dem, was
ich sagte, verstand. Im Grunde genommen führte ich mehr ein Selbstgespräch.
    „Nach Tonys Tod lud Agnes mich zu Weihnachten nach
Lake Forest ein, und ich lernte ihre Familie kennen. Mrs. Paciorek beschloß,
mir die Verantwortung für Agnes' Verhalten in die Schuhe zu schieben. Sie
konnte es nicht verkraften, daß sie als Mutter versagt hatte. Die liebe kleine
Agnes, so sanft und empfindsam, war meinem üblen Einfluß erlegen. Nur daß sich
sanfte und empfindsame Leute kaum aus eigener Kraft eine Maklerkarriere
aufbauen. Agnes und ich waren jedenfalls eng befreundet, auf der Uni und auch
später. Dann zog sie's zu den Lesben. Mich nicht. Wir blieben trotzdem gute
Freunde, und das war allerhand in einer Zeit, in der Ehen und Freundschaften
aus politischen Gründen in die Brüche gingen. So, Bobby. Das war meine
Geschichte. Und nun sag mir, warum du sie hören wolltest.“
    Er starrte weiterhin auf den Schreibtisch. „Wo warst
du gestern abend?“
    Ich ging wieder hoch. „Herrgott noch mal, wenn du
mich unter Mordanklage stellen willst, dann tu's doch! Sonst kriegst du von mir
keine Auskunft.“
    „Wir nehmen an, daß der Täter nicht zufällig bei ihr
eingedrungen ist, sondern daß sie ihn kannte.“ Aus dem mittleren Schubfach zog
er einen Terminkalender mit Ledereinband, schlug ihn auf und schob ihn mir zu.
Am Mittwoch, dem 18. Januar, hatte Agnes eingetragen: „V. I. W.“ - mit mehreren
Ausrufezeichen versehen und dick unterstrichen.
    „Sieht nach einer Verabredung aus, nicht?“ Ich schob
den Kalender wieder zu ihm hinüber. „Steht fest, daß ich die einzige in ihrem
Bekanntenkreis bin, auf die diese Initialen zutreffen?“
    „Die Initialen findet man hier nicht gerade häufig.“
    „Die Polizei geht also davon aus, daß wir ein
Liebespaar waren und Streit hatten? Obwohl sie seit drei Jahren mit Phyllis
Lording zusammenlebt! Du hast vorhin gesagt, dir sei nach Kotzen zumute
gewesen, als Mrs. Paciorek ihre Geschichten an den Mann brachte. Offen gesagt,
was in den Köpfen der Polizei vorgeht, ist noch schlimmer. Gibt's sonst noch
was?“ Ich stand auf.
    „Erzähl mir, weshalb sie dich sprechen wollte. Und
ob du dort warst.“
    Ich blieb stehen. „Du hättest deine letzte Frage
zuerst stellen sollen. Ich war gestern in Melrose Park, in Gesellschaft von
Reverend Boniface Carroll, dem Prior des Sankt-Albert-Klosters. Ungefähr von
halb fünf bis zehn. Und weshalb Agnes mich sprechen wollte, weiß ich nicht.
Vorausgesetzt, daß sie mich sprechen wollte. Versuch's doch mal bei Vincent
Ignatius Williams.“
    „Wer soll denn das sein?“ fragte Bobby überrascht.
    „Keine Ahnung. Aber seine Initialen sind V.I.W.“
Damit drehte ich mich um und ging. Ich war außer mir, und vor Wut zitterten mir
die Hände. Vor der Wagentür sog ich die eisige Luft ein und atmete ganz langsam
aus, bis ich ruhiger wurde.
    Schließlich stieg ich ein. Die Uhr auf dem
Armaturenbrett zeigte elf. Nach kurzer Fahrt Richtung Innenstadt parkte ich auf
einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe des Pulteney-Gebäudes. Die drei
Querstraßen bis zur Ajax ging ich zu Fuß. Der Wolkenkratzer aus Glas und Stahl
mit seinen sechzig Stockwerken gehört zu den häßlichsten in ganz Chicago. In
der grauen Eingangshalle des Ajax-Gebäudes patrouillieren uniformierte
Wachtposten, deren Aufgabe es ist, Firmenangehörige wie Roger Ferrant vor
zwielichtigem Gesindel wie mir zu schützen. Selbst nachdem Roger bekundet
hatte, daß er mich zu sehen wünsche, mußte ich noch per Formular einen
Besucherausweis beantragen.
    Ferrants Büro im achtundfünfzigsten Stock, mit Seeblick,
zeugte von seiner gegenwärtigen Position. Die magere Sekretärin in dem
geräumigen Vorzimmer ließ mich wissen, daß Mr. Ferrant gleich dasein werde. Ich
setzte mich in einen tiefen grüngepolsterten Plüschsessel und

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