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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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blätterte die
Morgenausgabe des Wall Street Journal durch.
Die Überschrift der „Gerüchte“-Spalte fiel mir ins Auge. Man munkelte bereits
über einen eventuellen Erwerb der Aktienmajorität von Ajax. Interviews mit den
Gebrüdern Tisch und anderen Inhabern von Versicherungsaktien hatten allerdings
keine Anhaltspunkte ergeben. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Ajax, Gordon
Firth, wurde zitiert:
     
    Selbstverständlich
beobachten wir den Aktienkurs mit Interesse. Aber bis jetzt ist noch niemand
mit einem günstigen Angebot an unsere Aktionäre herangetreten.
     
    Mehr schien man auch in New York nicht zu wissen.
    Viertel vor zwölf kam aus Ferrants Büro eine Gruppe
von meist übergewichtigen Männern mittleren Alters, die gedämpft, aber erregt
miteinander diskutierten. Als Ferrant unmittelbar nach ihnen aus der Tür trat,
rückte er mit der einen Hand seine Krawatte zurecht, mit der anderen strich er
sich die Haare aus der Stirn. Er lächelte, sah aber besorgt aus.
    „Du hast noch nicht gegessen? Gut. Dann gehen wir
ins Kasino der Geschäftsleitung im sechzigsten Stock.“
    Schweigend fuhren wir im Aufzug hinauf. Kasino und
Sitzungssäle machten den unfreundlichen Eindruck der Eingangshalle wieder
wett: Brokatvorhänge über zarten Baumwollstores, dunkle Holztäfelung,
vermutlich Mahagoni, und indirekte Beleuchtung, die geschickt plazierte moderne
Bilder und Plastiken anstrahlte.
    Ferrant hatte einen eigenen Tisch, weit weg von
neugierig lauschenden Nachbarn. Kaum hatten wir uns gesetzt, da stand auch
schon ein schwarzuniformierter Kellner mit der Speisekarte vor uns und fragte,
was wir zu trinken wünschten. Ich bestellte Orangensaft. Lustlos betrachtete
ich die Speisekarte. Als der Kellner die Getränke brachte, stellte ich fest,
daß ich keinen Appetit hatte.
    „Danke, für mich im Augenblick nichts.“
    Ferrant warf einen Blick auf die Uhr und meinte
entschuldigend, er habe nicht viel Zeit und müsse gleich essen.
    Der Kellner ging, und ich platzte damit heraus, daß
ich den Vormittag bei der Polizei verbracht hatte. „Sie glauben, Agnes habe
gestern jemanden erwartet. Du hast das gleiche gesagt. Hat sie irgend etwas
erwähnt, das über ihren Besucher Aufschluß geben könnte?“
    „Barrett hat mir eine Liste sämtlicher Makler
zugeschickt, die mit Ajax-Papieren handeln. Sie kam mit der Montagspost. Ich
habe sie am Dienstag beim Mittagessen Agnes gegeben, zusammen mit einer
Aufstellung der Namen, auf die die Aktien registriert worden waren. Sie kannte
einen Kollegen auf der Liste ziemlich gut und wollte ihn anrufen. Ich weiß aber
nicht, wer es war.“
    „Hast du die Liste fotokopiert?“
    Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte mich schon
ohrfeigen können deswegen. Bisher fand ich den Fotokopierfimmel der Amerikaner
idiotisch, aber jetzt denke ich anders darüber. Natürlich könnte ich bei
Barrett eine Kopie anfordern, allerdings bekämen wir die erst morgen.“
    Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Warum
sollte ich mich aufregen? „Vielleicht findet Agnes' Sekretärin die Listen. Sag
mal, hat sie eigentlich gestern meinen Namen erwähnt?“
    Er schüttelte den Kopf. „Hätte sie das tun sollen?“
    „Die Anfangsbuchstaben meines Namens standen in
ihrem Terminkalender. Für Agnes war das eine Gedächtnisstütze, denn ihre
Termine waren Sache der Sekretärin. Sie wollte mich also sprechen.“ Ich war zu
wütend auf Mallory gewesen, um ihm das zu erklären, und aus ebendiesem Grund
hatte ich ihm auch nichts von Ferrant und der Ajax erzählt. „Die Polizei hat
eine phantastische Mordtheorie entwickelt: Agnes und ich hätten etwas
miteinander gehabt, und ich hätte sie aus Eifersucht oder Rache oder sonstwas
erschossen. Daraufhin war ich nicht sehr gesprächig. Aber ich frage mich
doch... Hast du das heutige Journal gelesen?“ Er nickte.
    „Man munkelt über eine Firmenübernahme durch Aktienmehrheit,
doch die Hauptakteure halten sich im Hintergrund. Agnes schnüffelt ein bißchen
herum und will mit mir reden. Bevor sie dazu kommt, ist sie tot.“
    Er war bestürzt. „Du nimmst doch nicht im Ernst an,
daß ihr Tod etwas mit der Ajax zu tun hat?“
    Der Kellner stellte ein Clubsandwich vor ihn hin,
und er biß mechanisch hinein. „Der Gedanke, daß meine Fragen vielleicht schuld
gewesen sein könnten, ist mir schrecklich. Gestern abend hast du das noch gar
nicht wichtig genommen. Herr im Himmel! Jetzt fühle ich mich erst recht
schuldig.“ Er lehnte sich über den Tisch. „Vic, vergiß

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