Fromme Wünsche
ruhige,
schlanke Frau, ein paar Jahre älter als Agnes und ich. „Ich erhebe ja keinen
Alleinanspruch auf Agnes. Ich weiß, sie hat mich geliebt - ihren toten Körper
brauche ich nicht. Aber ich muß zur Beerdigung gehen. Nur dann glaube ich, daß
sie wirklich tot ist.“
Ich versprach, mich bei der Polizei nach Ort und
Zeit zu erkundigen, falls Mrs. Paciorek mir diese Auskünfte verweigern sollte.
Als ich mich schließlich auf den Heimweg machte, war
es beinahe sieben. Phyllis' Einladung zum Abendessen hatte ich abgelehnt. Nach
einem Tag wie diesem mußte ich allein sein.
Zudem wußte ich, daß Phyllis essen nur als lästige
Pflicht betrachtete. Heute aber war mir nach einer richtigen schönen Mahlzeit
zumute, nicht nach Hüttenkäse, Spinat und, im günstigsten Fall, einem weichen
Ei.
Ich kam nur langsam voran, denn das Schneetreiben
behinderte den Verkehr. Ich mußte Lotty anrufen, fiel mir ein, und mit ihr
über Agnes reden. Denn inzwischen wußte sie natürlich, was geschehen war.
Jetzt erinnerte ich mich auch wieder an Onkel Stefan, an die gefälschten
Papiere und an den anonymen Anrufer. Nachts und allein in der verschneiten
Stadt flößte mir der Gedanke an die kultivierte und seltsam unpersönliche
Stimme Furcht ein. Als ich aus dem Auto stieg und zu meiner Haustür ging,
fühlte ich mich verlassen und hilflos.
Das Licht im Treppenhaus brannte nicht - nichts
Außergewöhnliches, denn unser Hausmeister faulenzte oder war betrunken. Wenn
sein Enkel sich nicht darum kümmerte, dann wechselte irgendein wütender Mieter
die Glühbirnen aus.
An jedem anderen Tag wäre ich im Dunkeln nach oben
gegangen, aber diesmal war mir die Dunkelheit unheimlich. Ich lief zurück zum
Auto und holte die Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Der neue Revolver lag in
der Wohnung, wo er mir herzlich wenig nützte. Aber die schwere Taschenlampe
konnte ich - falls nötig - auch als Waffe verwenden.
Bis zum zweiten Stock zogen sich feuchte Fußspuren.
Dort wohnten ein paar Studenten. Offenbar hatte ich Gespenster gesehen. Einer
Detektivin dürfte das eigentlich nicht passieren. Die letzte Treppe nahm ich
mit Schwung. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe tanzte über die ausgetretenen
Stufen. Da entdeckte ich einen kleinen, feuchten Schmutzfleck. Mir wurde
eiskalt. War da jemand mit nassen Schuhen die Treppe heraufgekommen und hatte
versucht, seine Spuren wegzuputzen? Genauso sah es aus.
Ich knipste die Lampe aus, wickelte mir den Schal um
Gesicht und Hals und hetzte gebückt weiter. Oben angekommen, roch ich
plötzlich nasse Wolle. Den Kopf auf die Brust gedrückt, warf ich mich nach
vorn. Ich prallte gegen einen massigen Körper. Wir stürzten beide zu Boden. Er
kam unter mir zu liegen. Ich hieb die Taschenlampe dorthin, wo ich das Gesicht
vermutete. Sie krachte auf einen Knochen. Die Gestalt gab einen unterdrückten
Schrei von sich. Ich wollte gerade zu einem Fußtritt ausholen, da spürte ich,
wie ein Arm auf mein Gesicht zukam. Ich duckte mich und rollte zur Seite. Im
gleichen Moment fühlte ich etwas Nasses im Genick. Dann hörte ich, wie jemand
in wilder Hast die Treppe hinunterrannte.
Ich wollte nachlaufen, da fing mein Nacken plötzlich
an wie Feuer zu brennen. Ich holte meinen Schlüssel heraus und schloß in
rasender Eile meine Wohnung auf. Auf dem Weg ins Bad schleuderte ich die
Stiefel von den Füßen, Hose und Strumpfhosen auszuziehen nahm ich mir nicht
mehr die Zeit. Ich sprang in die Badewanne, drehte die Dusche voll auf und
blieb fünf Minuten lang darunter.
Triefend und zitternd kletterte ich auf wackligen
Beinen aus der Wanne. In meinem Mohairschal waren große runde Löcher, der
Kragen der Wollgeorgettejacke hatte sich praktisch aufgelöst. Ich verrenkte mir
den Hals, damit ich meinen Rücken im Spiegel betrachten konnte. Ein schmaler roter
Streifen zog sich über meinen Nacken, und dort war die Haut zum Teil weggeätzt.
Säure!
Ich hatte jetzt einen regelrechten Schüttelfrost.
Das kommt vom Schock, registrierte ein Teil meines Gehirns. Mühselig zog ich
mir Hose und Strumpfhose herunter und wickelte mich in ein großes Badetuch. Der
Nacken brannte fürchterlich. Tee ist gut gegen Schock, fiel mir ein. Aber da
ich Tee nicht mag, habe ich nie welchen im Hause. Heiße Milch ginge auch - mit
viel Honig. Ich zitterte so stark, daß ich das meiste verschüttete. Im
Schlafzimmer zog ich die Steppdecke vom Bett und wickelte mich hinein. Auf dem
Küchenboden sitzend schlürfte ich die kochendheiße Milch. Nach
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