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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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zweihundertfünfzig Dollar im Monat stand mir
ein recht komfortables Wohnschlafzimmer zur Verfügung. In der Küche gab es
keinen Herd, nur einen Gaskocher, dafür stand im Bad eine richtige große
Wanne. Auch Telefonanschluß war vorhanden. Ich bezahlte die Miete mit einem
Scheck und fuhr zu meiner alten Wohnung.
    In der Wintersonne wirkte das Gebäude so verlassen
wie das ausgebrannte Manderley. Ich kletterte über das Gerumpel auf der Treppe und
durch das Loch in meiner Wohnzimmerwand. Das Klavier stand noch auf seinem
Platz, aber das Sofa und der Beistelltisch waren weg. Das Telefon im
Schlafzimmer war unter herabgefallenem Verputz vergraben. Ich zog den Stecker
heraus und nahm es mit. Auf dem Postamt füllte ich einen Nachsendeantrag aus
und holte die Post ab, die seit dem Brand für mich eingegangen war. Dann biß
ich die Zähne zusammen und machte mich auf den Weg zu Lotty.
    Ihr Warteraum war voller Frauen mit Kleinkindern,
die in allen Sprachen der Welt durcheinanderkreischten. Lottys
Sprechstundenhilfe war sechzig Jahre alt und hatte selbst sieben Kinder
aufgezogen. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, im Wartezimmer für Ordnung zu
sorgen und darauf zu achten, daß die Patienten in der richtigen Reihenfolge
vorgelassen wurden.
    „Ach,
Miss Warshawski! Schön, daß Sie uns mal
besuchen. Heute gibt's ziemlich viel zu tun. Jede Menge Erkältungen und Grippe.
Weiß Dr. Herschel, daß Sie kommen?“
    „Nein,
Mrs. Coltrain. Ich wollte mal nachfragen,
wie es Ihrem Onkel geht und ob ich ihn besuchen kann.“
    Mrs. Coltrain verschwand
und kam nach ein paar Minuten mit Carol Alvarado zurück. Carol sagte mir, daß
Lotty im Augenblick beschäftigt sei, aber ich solle im Sprechzimmer auf sie
warten. Nach einer halben Stunde kam sie. Ihr Gesicht war kalt und abweisend.
„Ich hab' eine unheimliche Wut auf dich, Vic. Zum Glück ist mein Onkel
davongekommen, und ich weiß, das hat
er dir zu verdanken. Aber wenn er gestorben wäre, hätte er es auch dir zu
verdanken.“
    Ich war zu müde, um mich herumzustreiten. „Lotty, du
brauchst bei mir keine Schuldgefühle zu erwecken, die hab' ich ohnehin. Ich
hätte ihn niemals in eine so verrückte und riskante Sache hineinziehen dürfen.
Vielleicht beruhigt es dich, daß ich auch mein Fett abgekriegt habe. Hätte ich
geahnt, was da auf ihn zukommt, ich hätte alles getan, um ihn zu schützen.“
    Lottys Miene blieb unbeweglich. „Er will mit dir
reden. Ich wollte das verhindern, denn er darf sich jetzt auf keinen Fall
aufregen. Aber es scheint, daß er sich noch mehr aufregt, wenn du nicht kommst.
Die Polizei will ihn vernehmen, aber er möchte unbedingt vorher mit dir
sprechen.“
    „Lotty, er ist ein alter Mann, aber er ist ganz klar
im Kopf. Und er will selbst Entscheidungen treffen. Meinst du nicht, daß du
dich deswegen ärgerst? Und weil ich ihn durch dich kennengelernt habe? Denk mal
darüber nach.“
    „Dr. Metzinger ist der verantwortliche Arzt. Ich
sage ihm, daß du kommst. Um wieviel Uhr?“
    Ich gab es auf, mich mit ihr auseinanderzusetzen.
Wenn ich jetzt gleich ins Krankenhaus fuhr, hatte ich gerade noch Zeit, mich
hinterher für das Diner umzuziehen. „In einer halben Stunde.“
    Sie nickte und verließ das Zimmer.
     
    19
Abendgesellschaft
     
    Das Ben-Gurion-Hospital war leicht zu erreichen. Es
war erst kurz vor fünf, als ich dort parkte. Auf dem Weg hatte ich mir noch
eine warme Jacke gekauft. Ein weibliches Wesen am Empfang rief die
Nachtschwester auf der Intensivstation an. Ich durfte nach oben. Um fünf Uhr
nachmittags ist es in einer Klinik ruhig. Operationen und Arztvisiten finden
vormittags statt, und der abendliche Besucherstrom hat noch nicht eingesetzt.
Durch verlassene Korridore folgte ich den roten Pfeilen zur Intensivstation im
zweiten Stock.
    Vor dem Eingang saß ein Polizist und hielt Wache. Er
war zu Onkel Stefans Schutz abgestellt worden, wie die Nachtschwester
erklärte. Ich mußte meinen Ausweis zeigen und mich auf Waffen durchsuchen
lassen. Diese Vorsichtsmaßnahme war ganz in meinem Sinne, denn insgeheim hegte
ich die Befürchtung, der Messerstecher könne wiederkommen, um sein Werk zu
vollenden.
    Nach der polizeilichen Kontrolle mußte den
Hygienevorschriften Genüge getan werden. Ich legte einen sterilen Mundschutz
an und zog einen Wegwerfkittel über. Aus dem Spiegel des Umkleidezimmers
blickte mir eine Fremde entgegen: müde graue Augen, windzerzaustes Haar und die
Maske, die meine Gesichtszüge verfremdete. Hoffentlich bekam der

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