Fromme Wünsche
abgeholt.
Freeman Carter holte mich
erst um neun. Er ist Anwalt bei Crawford & Meade, einer piekfeinen
Sozietät, und dort für die kriminellen Fälle zuständig.
„Hallo, Freeman! Die anderen Zuhälter haben ihre
Bienen schon vor einer Stunde rausgeholt. Anscheinend ist mein Marktwert nicht
besonders hoch.“
„Wenn du dich im Spiegel sehen könntest, wüßtest du,
warum. Du hast um elf einen Termin bei der Untersuchungsrichterin. Reine
Formsache. Bis zur Verhandlung wirst du auf freien Fuß gesetzt.“ So verfährt
man mit zuverlässigen Staatsbürgern wie mir.
Mit Freemans Kamm brachte ich meine Frisur wieder
einigermaßen in Ordnung. Dann gingen wir in ein kleines Besprechungszimmer.
Freeman sah so elegant und gepflegt aus wie immer. Wenn ich auch nur halb so
verwahrlost wirkte, wie ich mich fühlte, mußte ich einen ziemlich
unappetitlichen Anblick bieten. Freeman warf einen Blick auf die Uhr. „Hast du
mir was zu sagen? Sie haben dich eingesperrt, weil sie vermuten, daß du nicht
alles zu Protokoll gegeben hast, was du über Stefan Herschel weißt.“
„Stimmt. Wie geht's ihm?“
„Auf dem Herweg habe ich in der Klinik angerufen. Er
liegt noch auf der Intensivstation, aber es scheint keine akute Gefahr zu
bestehen.“
„Schön.“ Ich fühlte mich gleich viel besser. „Hör
zu: Herschel ist in den fünfziger Jahren wegen Urkunden- und Banknotenfälschung
verknackt worden. Jetzt sind sie vermutlich mit dem Messer auf ihn losgegangen,
weil er Detektiv gespielt hat. Es ging um gefälschte Wertpapiere. Aber das kann
ich Bobby Mallory erst verraten, wenn ich mit dem alten Herrn gesprochen habe.
Ich will auf jeden Fall vermeiden, daß er mit der Polizei Schwierigkeiten
bekommt.“
Freeman verzog das
Gesicht. „Wäre ich dein Zuhälter, dann würde ich dich jetzt mit einem Kleiderbügel
verdreschen. Aber da ich nur dein Anwalt bin, gebe ich dir den Rat, Mallory reinen
Wein einzuschenken. Er ist kein Unmensch. Einen Achtzigjährigen liefert er
bestimmt nicht ans Messer.“
„Er vielleicht nicht, aber Derek Hatfield. Und zwar
im Handumdrehen. Und wenn ihn die Bundespolizei mal in den Klauen hat, können
wir ihm nicht mehr helfen - weder Bobby noch ich und du auch nicht.“
Ich konnte Freeman mit meinem Bericht über die
Fälschungen und die Rolle, die Onkel Stefan dabei gespielt hatte, nicht
überzeugen, aber er brachte mich bei der Vernehmung mit Bravour über die
Runden. An der Hochbahnstation Roosevelt Road setzte er mich ab und gab mir zum
Abschied ein Küßchen. „Das ist ein echter Beweis meiner Verehrung, Vic. Du
brauchst nämlich dringend ein Bad.“
Ja, baden, ein Nickerchen, Roger, Lotty, Onkel
Stefan. Eigentlich stand der dringendste Punkt am Schluß, aber ich konnte
niemandem unter die Augen treten, bevor ich mir nicht wenigstens den Schmutz
vom Leib gespült hatte.
Die Rangfolge veränderte sich geringfügig, weil
Roger in seiner Wohnung auf mich wartete. Er telefonierte - anscheinend mit
Ajax. Auf dem Weg ins Bad winkte ich ihm kurz zu. Zehn Minuten später kam er
hinterher. Ich lag schon in der Wanne, oder vielmehr, ich versuchte es. Diese
sogenannte Wanne war eines von diesen gräßlichen neumodischen Dingern, in denen
man nur mit angezogenen Knien sitzen kann. Bei mir zu Hause konnte ich mich
wenigstens richtig ausstrecken.
Roger setzte sich auf den Klodeckel. „Heute nacht um
eins hat mich die Polizei geweckt und über deine Säureverletzungen ausgefragt.
Ich habe alles erzählt, was ich wußte, und das war herzlich wenig. Du warst
einfach verschwunden. Erst gestern früh hatte ich dich gebeten, keine
Dummheiten zu machen. Und dann wache ich mitten in der Nacht auf, und du bist
weg. Keine Nachricht. Herrgott noch mal, warum tust du so was, Vic?“
„Ich hatte einen ereignisreichen Abend hinter mir.
Erst habe ich einem alten Mann das Leben gerettet. Anschließend verbrachte ich
neun Stunden im Gefängnis: fünf in Skokie und vier in Chicago. Mir wurde nur
ein einziges Telefongespräch gestattet, und da rief ich meinen Anwalt an. Aber
er war nicht zu Hause, sondern nur seine Tochter. Deshalb konnte ich meinen
Freunden und Verwandten nicht Bescheid geben.“
„Aber, Vic, du weißt doch, daß ich ganz krank vor
Sorge um dich bin. Mich regt das Ganze wahnsinnig auf. Warum hast du mir keinen
Zettel hingelegt?“
„Ich wußte doch nicht, daß ich so lange unterwegs
sein würde.“
„Darum geht's nicht, das weißt du. Wir hatten das
Thema doch erst gestern. Oder war's
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