Fromme Wünsche
in
Chicago als Wasserleiche auftauchen sollte. Dreimal gefaltet paßte die
Mitteilung in ein weiteres Kuvert. Ich adressierte es an den Herald-Star. Was ich Lotty und Roger zu sagen hatte, fand auf keinem
Umschlag Platz.
Inzwischen war es fast sieben. Da ich außer einem
Apfel noch nichts im Magen hatte, kaufte ich mir einen Schokoriegel mit Mandeln
und einen mexikanischen Salat, um für das Kommende einigermaßen gestärkt zu
sein.
An der Ausfahrt Half Day Road rief ich mir die Lage
des Anwesens der Familie Paciorek ins Gedächtnis. Falls mir jemand auflauerte,
dann an der Eingangstür oder am Garagentor. Hinter dem Haus lag ein Restchen
Wald. Es grenzte an einen Wasserlauf, der in den Michigansee mündete. Agnes und
ich hatten dort manchmal auf Baumstämmen gesessen und gepicknickt. Das
Grundstück endete nach ungefähr achthundert Metern an einem Steilufer, das zum
See abfiel. Im Sommer, bei Tag, war es vielleicht möglich, dort
hinaufzuklettern, aber nicht in einer Winternacht. Mir blieb nichts anderes
übrig, als mich vom Nachbargrundstück an die Giebelseite des Hauses
heranzupirschen.
In einer Seitenstraße der Arbor Road parkte ich.
Lake Forest lag im Dunkeln. Straßenbeleuchtung gab es nicht, die Taschenlampe
hatte ich nicht bei mir. Zum Glück war die Nacht klar. Geduckt schlich ich an
dem Eckhaus vorbei. Im Garten hinter dem Haus dämpfte der Schnee meine
Schritte, dafür kam ich langsamer vorwärts. Als ich den Zaun zum Nachbargrundstück
erreicht hatte, fing ein Hund zu bellen an, und bald kläffte es von allen
Seiten. Ich kletterte über den Zaun und hielt mich östlich, weil ich hoffte,
von hinten an das Haus der Pacioreks heranzukommen.
Das dritte Grundstück, etwa so groß wie das der
Pacioreks, ging in das Wäldchen über. Die Hunde verstummten, dafür vernahm ich
nun das dumpfe Grollen des Michigansees. Ich hatte im Dunkeln völlig die
Orientierung verloren. Plötzlich rutschte ich einen kleinen Abhang hinunter und
landete unsanft auf holprigem Eis. Als ich mich hochrappelte und gleich wieder
ausrutschte, merkte ich, daß ich den Wasserlauf erreicht hatte. Ich brauchte
nur, den tobenden See im Rücken, weiterzulaufen, dann würde ich mit etwas
Glück genau an der Rückseite der Paciorekschen Villa landen.
Nach einigen Minuten hatte ich mich durch das
Wäldchen gearbeitet. Schwärzer als die Nacht ragte das Haus vor mir auf. Agnes
und ich hatten meist den Kücheneingang ganz links neben dem Personaltrakt
benutzt. Kein Lichtschein war zu sehen. Die Terrassentür vor mir führte in den
sogenannten Wintergarten.
Mit meinen steifgefrorenen Fingern brauchte ich eine
Ewigkeit, bis ich meine Jacke aufgeknöpft und ausgezogen hatte. Ich preßte sie
neben dem Türriegel an die Scheibe, zog die Smith & Wesson aus dem Halfter
und schlug mit dem Griff kurz und kräftig zu. Das Glas zerbrach. Als kein Alarm
ausgelöst wurde, entfernte ich die Glassplitter aus dem Rahmen, steckte meinen
Arm durch die Öffnung und entriegelte die Tür.
Drinnen zog ich Stiefel und Handschuhe aus und
wärmte mich an der Heizung. Ich aß den Rest meines Schokoriegels und sah auf
die Uhr: neun vorbei. Mrs. Paciorek mußte allmählich ungeduldig werden. Eine
Viertelstunde später fühlte ich mich in der Lage, meiner Gastgeberin
gegenüberzutreten. Es kostete mich Überwindung, die feuchten Stiefel anzuziehen;
aber durch die Kälte wurde ich wieder hellwach.
Als ich den Raum verlassen hatte, sah ich Licht im
vorderen Teil des Hauses. Ich folgte dem Lichtschein bis zu dem Kaminzimmer,
in dem ich mich schon einmal mit Mrs. Paciorek unterhalten hatte. Sie saß vor
dem Feuer, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Stickerei hielt sie müßig im
Schoß. Ihr schönes, böses Gesicht wirkte angespannt. Sie wartete auf den
Schuß, der mich erledigen sollte.
23
Stelldichein in Lake Forest
Offensichtlich war sie allein. Ich verstaute daher
die Smith 81 Wesson wieder im Schulterhalfter und trat ins Zimmer.
„Guten Abend, Catherine. Das Personal hat
anscheinend Ausgang, aber ich habe den Weg allein gefunden.“
Sie erstarrte förmlich. Einen Augenblick lang
fürchtete ich, der Schlag habe sie getroffen. Dann brachte sie heraus: „Was
machst du denn hier?“
Ich setzte mich ihr gegenüber vor den Kamin. „Sie
haben mich doch hergebeten. Eigentlich wollte ich um acht hier sein, aber ich
habe mich im Dunkeln verlaufen. Entschuldigen Sie die Verspätung.“
„Was? Wie -“ Sie unterbrach sich und sah argwöhnisch
hinaus auf den
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