Frontlinien
Blick zu, um dann wieder in Lekkets Augen zu sehen. »Ich habe einmal mit einem Freund über die Möglichkeit gesprochen, dass die Prinzipien von Richtig und Falsch – und die der Freiheit – vielleicht von der jeweiligen Kultur abhängen und nicht für alle intelligenten Wesen gelten. Nun, ich halte eine solche Annahme für falsch –
und Sie tun dies ebenfalls, glaube ich.«
»Ich… ich habe nie darüber nachgedacht«, gestand Lekket.
»Fangen Sie jetzt damit an«, sagte Janeway und richtete sich auf.
Der Edesianer nickte langsam. »Es war falsch, Ihnen die Freiheit zu nehmen, Captain. Das sehe ich jetzt ein. Es tut mir sehr Leid.«
»Beweisen Sie es mir, Lekket. Verändern Sie die geistige Haltung Ihres Volkes. Sorgen Sie dafür, dass so etwas nie wieder geschieht. Kämpfen Sie nicht nur für Ihre Freiheit, sondern auch für meine und die der Gimlon.« Janeway
vollführte eine Geste, die dem ganzen Schiff galt. »So wie wir uns für Ihre Freiheit einsetzten.«
»Ich werde es versuchen, Captain«, versprach Lekket.
Aufrichtigkeit erklang in seiner Stimme. »Aber ich bin allein und mein Volk ist sehr stur.«
»Noch sind Sie allein«, betonte Janeway. »Überzeugen Sie einen zweiten Edesianer. Und dann einen dritten. Und wenn Sie zu dritt sind… Überzeugen Sie weitere. Nötig ist nur ein Mann mit der richtigen Idee, mit der Vernunft auf seiner Seite und der Freiheit als Ziel. Kämpfen Sie darum, Lekket. Lehren Sie es Ihre Kinder, Enkel und Urenkel. Und auch die Gimlon.
Sie werden verstehen. Bitten Sie sie einfach nur nachzudenken.
Dazu sind sie imstande. Wir alle sind dazu imstande. Wenn nicht, wären wir wohl kaum hier draußen.«
Lekket nickte erneut, wieder langsam, aber auch mit
Entschlossenheit. »Sie sind sehr klug, Captain.«
»Nein«, widersprach sie. »Ich benutze nur meinen Verstand, so gut es geht. Ihre ›Strafe‹ besteht darin, sich ein Beispiel daran zu nehmen.«
Der Edesianer streckte die Hand aus. »Das werde ich,
Captain. Ich gebe Ihnen mein Wort.«
Janeway ergriff die Hand und schüttelte sie. »Viel Glück, Mr.
Lekket.«
»Danke, Captain. Für alles.«
Lekket ließ die Hand der Kommandantin los und Chakotay führte ihn hinaus.
Tuvok blieb vor dem Schreibtisch stehen. Nach ein oder zwei Sekunden sah Janeway ihn an. »Stimmt was nicht, Mr.
Tuvok?«
Der Vulkanier legte die Hände auf den Rücken. »Ich bin beeindruckt. Sie sind gerecht gewesen und damit haben Sie zwei Völkern Gerechtigkeit gebracht, die sich andernfalls gegenseitig ausgelöscht hätten. Sie sind klug.«
»So fühle ich mich aber nicht«, erwiderte Janeway und reckte den Hals, um die schmerzenden Muskeln zu entspannen. »Aus mir würde nie eine gute Vulkanierin. Ich bin sehr… traurig.«
»Warum?«
Janeway sah ihn an, während an ihrem inneren Auge
Milliarden von Gesichtern vorbeizogen, die ihr für immer unbekannt blieben.
»Es gibt hier keine echte Gerechtigkeit, Tuvok«, sagte sie.
»Es sind zu viele Personen gestorben, um von Gerechtigkeit zu sprechen.«
»Der Kampf ist zu Ende, Captain«, erwiderte der Vulkanier.
»Und jene, die Unrecht geschehen ließen, haben für ihre Verbrechen bezahlt.«
Janeway schüttelte den Kopf. »Nein, Tuvok. Es bleibt Schuld bestehen und deshalb haben wir keinen vollständigen Sieg errungen.«
Tuvok zögerte. Vulkanier neigten nicht dazu, andere
Personen zu berühren, um ihnen moralische Unterstützung zu gewähren, aber in Tuvoks Stimme hörte Janeway seine Hand auf ihrer Schulter. »Vielleicht. Aber Ihre Worte haben Lekket erreicht und er könnte durchaus fähig sein, die Zukunft zu ändern.«
Janeway sank in den Sessel und drehte ihn, um aus dem
Fenster zu sehen. Ein wunderschöner blaugrüner Planet drehte sich unter der Voyager.
»Es wäre möglich«, sagte sie. »Ich schätze, wir müssen einfach daran glauben.«
»Nein, Captain«, entgegnete Tuvok ruhig. »Es geht nicht um Glauben, sondern um Vertrauen. Auf der Grundlage unseres Bestrebens, im Chaos die Ordnung der Zivilisation zu suchen und sie auch zu finden. Wir entdecken sie in uns und auch in anderen Geschöpfen überall in der Galaxis. Sie haben selbst darauf hingewiesen: Wer logisch genug denken kann, um ins All vorzustoßen, sollte auch in der Lage sein, die Vernunft, die in der Freiheit liegt, zu erkennen.«
»Aber warum erkennen die Edesianer und Gimlon sie so
spät? Warum mussten so viele Unschuldige sterben?« Janeway fragte nicht, klagte vielmehr über die Grausamkeit der
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