Frontlinien
beschränkte sich auf die mechanisch
klingende Stimme des Computers – ohne jede Emotion setzte sie den Countdown fort.
»Achtzehn… siebzehn… sechzehn… fünfzehn…«
19
»Kann ich Sie für einen Augenblick sprechen, Captain?«
»Ja.« Janeway deutete auf einen Sessel und Bolis nahm vor dem Schreibtisch in ihrem Bereitschaftsraum Platz.
Stumm saß der Edesianer da, die Hände im Schoß gefaltet, die Lippen ein wenig verzogen. In seinem kurzen, dunklen Haar zeigten sich einige graue Stellen und Janeway begriff, dass sie ihn jetzt zum ersten Mal aufmerksam musterte.
Sekunden verstrichen und Bolis schwieg auch weiterhin, als wüsste er nicht, wo er beginnen sollte. Die Stille gefiel Janeway nicht, denn sie gab ihr Gelegenheit, an die drei Milliarden Bewohner von Rasilian II zu denken, die vor kurzer Zeit gestorben waren. Hinzu kam der Tod von Chakotay, Paris, Chen und den anderen entführten Besatzungsmitgliedern. Ihre Leute. Sie wusste, dass sie nicht auf diese Weise denken sollte, dass es falsch war, den Tod der Crewmitglieder höher zu bewerten als den der Edesianer des vernichteten Planeten…
Aber sie hatte Chakotay und die anderen gut gekannt,
während die edesianischen Opfer für sie anonym blieben. Sie sah die vertrauten Gesichter vor dem inneren Auge, wenn sie an die Zerstörung des Planeten dachte. Und sie vermisste jene Gesichter auf der Brücke.
Auf ihrer Brücke.
Bolis hatte ihr dabei geholfen, die Voyager wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Und jetzt saß er vor ihr – irgendetwas schien ihn zu belasten.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Janeway.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Captain. Ich… ich möchte Commodore Lekket einen Besuch abstatten.«
Das überraschte Janeway und sicher sah man es ihr auch an.
»Warum?«
»Um ihm zu erklären, weshalb ich…«
»Weshalb Sie Verrat übten?«
Bolis presste die Lippen zusammen und wandte den Blick ab.
Das Wort schien ihn zu verletzen, aber Lekket hatte es nicht zu Unrecht benutzt.
»Es ist tatsächlich Verrat«, sagte Janeway. »Aber dadurch wird Ihr Verhalten nicht automatisch falsch. Wer Verrat übt, um sich von unmoralischen Werten abzuwenden – der zeigt Moral, Mr. Bolis.«
Der Edesianer nickte langsam und schien die Worte der
Kommandantin als Trost zu empfinden. »Wenn das
stimmt…«, sagte er. »Ich muss es ihm erklären.«
»Ich verstehe.«
Bolis’ Blick kehrte zu Janeway zurück und wirkte seltsam, nicht kühl oder distanziert, sondern irgendwie von den Worten losgelöst. »Ich habe die Befehle meines Vorgesetzten
missachtet und Entscheidungen getroffen, die meine
Heimatwelt betreffen, meine Familie und Hunderttausende von anderen Familien…«
»Ich weiß, was Sie meinen.«
»Darf ich mit ihm sprechen? Allein?«
Janeway nickte. »Natürlich. Was wollen Sie ihm sagen?«
Bolis holte tief Luft und hielt den Atem einige Sekunden lang an. Dann seufzte er. »Ich möchte meine Beweggründe
erklären, offiziell den Dienst quittieren und versprechen, mich den edesianischen Behörden zu stellen, wenn nach dem Krieg etwas von ihnen übrig geblieben ist.«
»Das wird der Fall sein, wenn es nach mir geht.«
Bolis’ Lippen formten ein Lächeln, aber es wirkte
gezwungen. »Sie scheinen nie die Zuversicht zu verlieren, Captain.«
Janeway nickte erneut. »Das stimmt.«
Welch eine Frechheit! Welch eine unglaubliche, unfassbare, arrogante Frechheit! Lekket wartete allein im kleinen Konferenzzimmer und mit jeder verstreichenden Sekunde
brannte der Zorn heißer in ihm. Bolis, der größte Verräter, der jemals auf Edesia geboren wurde… Selbst wenn man ihn so lange folterte, bis er starb – ein solches Schicksal wäre noch zu gnädig gewesen.
Das Gefühl des eigenen Versagens rang mit dem brodelnden Zorn in Lekket. War Bolis dafür verantwortlich, dass er die Kontrolle über die Situation verloren hatte? Oder lag es an seiner eigenen Schwäche, dass Edesia nun eine Katastrophe drohte?
Spielte es überhaupt eine Rolle? Bolis hatte ganz
offensichtlich Captain Janeways Vertrauen gewonnen und sein Verrat bedeutete das Ende für Edesia.
Nach einer Weile öffnete sich die Tür und ein Starfleet-Wächter ließ Bolis eintreten. Lekket brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht aufzuspringen, sich auf seinen einstigen Freund zu stürzen und zu versuchen, ihn zu
erwürgen.
Es hätte sich gut angefühlt: mit den eigenen Fingern zu spüren, wie das Leben aus Bolis’ Leib wich. Aber so etwas entsprach nicht Lekkets
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