Fronttheater
ratlos an. »Was jetzt?«
»Lore könnte zum Fluß gelaufen sein.« Garten zog sie weiter. »Hoffen wir, daß kein Loch im Eis ist.«
Mit keuchenden Lungen rannten sie durch das dichte Schneegestöber, das der Wind durch die Straßen trieb. Vor ihnen lag der Park.
»Hier durch.« Garten wechselte die Richtung. »Wir schneiden ein Stück ab.«
Der Schnee lag fast knietief auf dem Parkweg. Mühsam kämpften sie sich voran.
Erika konnte das scharfe Tempo nicht mithalten. Langsam blieb sie zurück. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Trotz der eisigen Kälte war ihr heiß.
Plötzlich fühlte sie, wie ihr Fuß sich in etwas verhakte. Sie stolperte und fiel mit dem Gesicht in den Schnee.
»Fritz!« rief sie verzweifelt. Als sie sich wieder aufrichten wollte, griffen ihre Hände in rauhen Stoff. Sie zog daran. Es war ein Wehrmachtsmantel. Lores Mantel …
»Fritz!« rief sie wieder.
Als Garten bei ihr auftauchte, zog er eine Taschenlampe hervor und ließ ihren Strahl umherfahren.
Lores Spur war fast zugeweht. Nur noch flache Dellen im Schnee, die in ein paar Minuten verschwunden sein würden. Wenn sie sich nicht beeilten.
Wortlos hetzten sie vorwärts, die Spur entlang.
Sie fanden Lore zehn Minuten später am Flußufer. Ihr Körper war fast zugeweht. Nur der Kopf und ein Arm ragten noch aus dem Schnee.
»Hilf mir, sie auf die Schulter zu laden«, bat Garten.
Auf dem Rückweg nahm Erika Lores Mantel auf und deckte ihn über die Kollegin. Sie schauderte, als sie Lores Haut berührte: eiskalt, wie eine Tote.
»Man müßte sie zu allem auch noch durchhauen«, schimpfte Fritz Garten, als sie die Straße erreicht hatten. »Wie kann man wegen so eines Kerls gleich die Nerven verlieren.«
»Sie erwartet ein Kind«, sagte Erika.
Garten blieb einen Augenblick trotz seiner Eile überrascht stehen. »Ach nee. Und das sagst du mir jetzt erst?«
»Ich weiß es auch erst seit kurzer Zeit. Irene hat es mir gesagt.«
»Immer noch kein Grund durchzudrehen«, schimpfte Garten.
Eine Stunde später lag Lore im Standortlazarett. Garten und Erika mußten lange warten, bis der Arzt sie zu sich winkte.
»Das kleine Fräulein hat Glück gehabt«, sagte er zuversichtlich. »Ich denke, wir werden sie wieder hinkriegen. Aber wenn Sie sie auch nur zehn Minuten später gefunden hätten …«
Als Doelles aus seiner Ohnmacht erwacht, spürt er die eisige Kälte und einen stechenden Schmerz in der Schulter. Es ist völlig dunkel.
Doelles versucht, sich wieder zurückgleiten zu lassen in die wohltuende Bewußtlosigkeit. Aber er schafft es nicht. Mit einem Stöhnen richtet er sich auf. Sein Kopf stößt gegen etwas Hartes.
»Verdammt!« Doelles will sich an den schmerzenden Kopf greifen. Aber der Arm gehorcht ihm nicht. Wie ein totes, gefühlloses Anhängsel liegt er neben ihm.
Und jetzt ist auch die Erinnerung wieder da: Der russische Panzerangriff. Seine Flucht in den Bunker. Das widerliche Knirschen und Krachen der Balken, als der russische Panzer über ihn hinwegrollte.
Vorsichtig versucht Doelles, die Beine zu bewegen. Sie sind wie abgestorben.
»Frost«, murmelt Doelles entsetzt. »Sie werden mir die Füße amputieren. Ach was, ich komm ja nie wieder hier raus. Aber Lore? Wer kümmert sich um Lore, wenn ich hier draufgehe?«
Er beißt die Zähne zusammen, bemüht sich, seine Beine aus den Trümmern zu ziehen. Hartgefrorener Schnee und Dreck rieseln auf ihn herunter.
Er blickt auf. Ein einzelner Stern flimmert. Da ist ein Loch. Ein Weg nach draußen, zurück ins Leben.
Das Loch ist gerade so weit, daß Doelles den Arm hinausstrecken kann. Vorsichtig beginnt er, die Öffnung zu vergrößern. Mit seiner einen brauchbaren Hand dauert es fast eine halbe Stunde, bis er die zusammengefrorenen Erdschollen abgebrochen hat. Sein Handschuh geht dabei in Fetzen. Und der größte Teil der Haut.
»So, jetzt wollen wir's mal versuchen.« Doelles steckt den Kopf hinaus. Die zerschlagene Schulter schmerzt entsetzlich, als er sich durch das Loch zwängt. Und auf halbem Weg sackt der Obergefreite Jupp Doelles wieder zusammen.
Bereichsleiter Kurt Planitz saß in seinem Berliner Amtszimmer. Er schlürfte seinen Morgenkaffee und las den Leitartikel des ›Völkischen Beobachters‹.
»Hören Sie mal zu, Elsa.« Er winkte seine Sekretärin heran und dozierte mit erhobenem Zeigefinger: »Deutschland war dem Sieg in Rußland noch nie so nah wie in diesem Winter. Unsere Front wurde zurückgezogen wie die Sehne eines Bogens. Je straffer die Sehne
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