Fronttheater
gespannt wird, desto kraftvoller schnellt der Pfeil in sein Ziel. Und was in Rußland heute geschieht, ist das Spannen eines mächtigen Bogens, der unsere Armeen bis nach Asien schnellen wird.«
Planitz legte die Zeitung auf den Tisch zurück. »Haben Sie das gehört, Elsa? Wie ein mächtiger Bogen. Ja, unser Goebbels weiß schon, wie man so was richtig ausdrückt.«
»Ja, das weiß er«, sagte Elsa trocken. »Haben Sie die Post schon durchgesehen?«
»Das geht Sie einen feuchten Kehricht an«, sagte Planitz böse. »Machen Sie, daß Sie rauskommen. Nein, bleiben Sie hier!«
Er zog den Briefstapel zu sich heran. Der erste Brief war von Fritz Garten. In knappen, sachlichen Worten berichtete Garten, daß Lore Sommerfeld ein Kind erwarte und von der Truppe beurlaubt werden sollte.
»Eine Unverschämtheit!« Planitz knallte den Brief wütend auf den Tisch.
Er sprang auf und steckte sich eine Zigarre an. »Schreiben Sie diesem Garten, daß er für die Moral und Disziplin seiner Truppe verantwortlich ist. Wenn durch solche Mätzchen der Einsatz der Truppe gefährdet wird, werde ich ihn wegen Zersetzung der Wehrkraft rankriegen. Und zwar mit dem allergrößten Vergnügen.«
»Soll ich das auch schreiben?« Elsa sah von ihrem Block hoch.
»Nein. Natürlich nicht. Und lassen Sie gefälligst Ihre Bemerkungen!«
Planitz ging zu der großen Rußlandkarte, die an der Wand hing. »Wo steckt denn dieser Garten eigentlich? Immer noch in Smolensk, was? Dem geht's viel zu gut. Das merkt man ja. Warten Sie noch mit dem Brief, Elsa. Ich werde dem Kerl mal schnell eine neue Fronttournee zusammenstellen. Den Leuten muß der Hintern auf Eis gelegt werden. Dann wird ihnen schon einiges vergehen.«
Planitz' Brief war sechs Tage unterwegs. An einem Sonntagnachmittag traf er in Smolensk ein. Gerade als Fritz Garten und seine Truppe zur Abendvorstellung ins Theater gehen wollten.
»Kinder, hört mal zu.« Garten hatte seine sechs Leute zusammengerufen und sah in ihre erwartungsvollen Gesichter. »Morgen abend ist unsere letzte Vorstellung hier. Dienstag gehen wir wieder auf Tour.«
»Ach, du liebes Lieschen«, murmelte Walter Meyer. »Bei der Saukälte!«
»Ich hatte mich gerade so schön eingewöhnt«, maulte Sonja Deppe.
»Na, wenn schon. Du gewöhnst dich überall schnell ein.« Fritz Garten musterte Sonja unwillig. »Für dich ist ein bißchen Luftveränderung ganz gesund.«
»Wo geht's denn hin?« fragte Walter Meyer hastig und stellte sich neben Sonja. Sonja warf ihm einen dankbaren Blick zu.
»Wie gehabt: immer dicht an der Front entlang.« Fritz Garten beobachtete die Gesichter seiner Kollegen, sein Blick blieb an Lore hängen. »Du solltest lieber hierbleiben, Kind«, sagte er väterlich. »Ich kann dich krankschreiben lassen. Grippe oder so was. Du bleibst im Lazarett, bis wir zurückkommen.«
Lore schüttelte den Kopf. »Ich komme mit«, sagte sie fest. Ihr Gesicht war härter geworden, seit Garten und Erika sie mit knapper Not vor dem Tod gerettet hatten. Aus dem noch fast kindlichen Mädchen war eine Frau geworden.
»Also gut. Meinetwegen. Aber ich halte es doch für besser …«
»Ich komme mit«, wiederholte Lore fest.
»Dann also los, Kinder. Wir müssen ins Theater!«
Garten blieb zurück, als die anderen aus dem Zimmer gingen.
»Erika.«
Erika Nürnberg wandte sich um.
»Mach bitte die Tür zu.«
Fritz Garten setzte sich auf die Tischkante und spielte mit Planitz' Brief. »Du könntest noch einmal nach Dabuscha fahren«, sagte er, ohne Erika anzusehen. »Es wäre ohnehin das letztemal für lange Zeit.«
Erika sagte nichts. Sie stand hinter einem Stuhl, die Hände um die Lehne gelegt, und sah schweigend auf den zerrissenen Rohrsitz.
»Wenn du morgen früh fährst, könntest du bis zur Abfahrt zurück sein«, sagte Garten.
»Und wenn es nicht klappt? Wenn ich zu spät zurückkomme?«
»Ich gebe dir unseren Tourneeplan mit. Irgendwo triffst du uns schon wieder.«
»Ja«, sagte Erika leise. Und noch einmal: »Ja.« Dann hob Erika nach einem plötzlichen Entschluß den Kopf und sah Garten in die Augen: »Ich möchte nicht fahren, Fritz.«
Fritz Garten fingerte eine Zigarette aus der Tasche. Über die Flamme seines Feuerzeugs sah er Erika an. Sie fühlte sich ertappt unter seinem forschenden Blick. Ertappt in ihren geheimsten Gedanken.
»Lore ist doch nicht mehr ganz einsatzfähig«, sagte sie stockend. »Und wenn nun auch ich noch ein paar Tage fehle …«
»Das ist doch nicht der Grund, Erika. Wir
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