Fronttheater
wollen uns doch nichts vormachen.«
»Nein, natürlich nicht.« Erika krampfte die Hände um die Stuhllehne, als ob sie das Holz zerbrechen wollte. »Hans und ich … Ich meine, ich störe ihn nur. Du weißt nicht, wie es aussieht in so einem Frontlazarett.«
Sie zog die Schulter hoch. »Und dann … Ich habe Angst, Fritz. Wir waren uns so – fremd, als wir uns trafen, damals, vor sechs Wochen. Ich liebe ihn, aber ich brauche Zeit, um über einiges nachzudenken. Verstehst du das, Fritz?« Ihre Augen flehten ihn an.
»Ja. Ich verstehe«, sagte Garten leise. »Ich verstehe, was du gesagt hast, und wahrscheinlich auch das, was du nicht gesagt hast. Wir verstehen uns schon verdammt gut – vielleicht zu gut …«
Er warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Absatz platt. Als ob er ein Gefühl zerstören wollte.
»Danke. Verstanden.« Stabsarzt Dr. Sorensen legte langsam den Hörer in den Kasten des Feldtelefons zurück. Einen Augenblick starrte er vor sich hin. Dann riß er sich zusammen, tauchte seine Hände in die Schüssel mit antiseptischer Lösung und trat wieder an den Operationstisch.
Unterarzt Dr. Hans Berthold, der eben einen zerschmetterten Arm amputierte, sah ihn fragend an.
»Anruf von der Division«, sagte Dr. Sorensen. Er hielt den Unterarm fest, während Dr. Berthold den Knochen durchtrennte. »Der Iwan ist durchgebrochen und stößt auf der Rollbahn in unsere Richtung vor. Wir müssen räumen.«
»Räumen?« Berthold hätte fast die Säge fallen lassen.
»Passen Sie doch auf!« fuhr Sorensen ihn an. »So was kann in einem Krieg schließlich passieren!«
»Wir haben noch vierzehn neue Fälle, die sofort operiert werden müssen«, stotterte Dr. Berthold. »Und mindestens dreißig nichttransportfähige Verwundete.«
»Alles, was kriechen kann, nehmen Sie mit, Berthold. Und zwar schnellstens. Wir haben ungefähr eine halbe Stunde Zeit. Nehmen Sie alle Fahrzeuge.«
»Und die Nichttransportfähigen?«
»Raten Sie mal.«
Berthold erbleichte. »Nein«, stotterte er. »Nein. Das ist doch unmöglich! Sie können doch nicht …«
»Wachen Sie endlich auf, Berthold. Wir haben Krieg, verstehen Sie? Krieg!«
»Sie können doch die Schwerverwundeten nicht einfach hier liegenlassen«, schrie Berthold. »Ich möchte …«
Ein berstendes Krachen schnitt ihm das Wort ab. Die Erde zitterte, als eine Serie schwerer Granaten explodierte.
»Das ging auf die Rollbahn«, sagte ein Sanitätsunteroffizier von der Tür.
Dr. Sorensen hatte ruhig weiteroperiert. »So, der wäre verarztet. Der nächste. – Steht nicht rum wie die Ochsen, wenn's donnert! Kümmert euch gefälligst um die Verwundeten. Haben Sie verstanden, Berthold?«
Eine halbe Stunde später kam Berthold zurück. »Alle Transportfähigen verladen. Wir können abrücken, Herr Stabsarzt!«
Sorensen sah kurz von einem Verwundeten auf, dem er die Haut wieder zusammennähte. »Dann alles Gute, Berthold. Sehen Sie, daß Sie durchkommen.«
»Wieso? Wollen Sie etwa … Sie können doch nicht …«
»Um mich machen Sie sich mal keine Sorgen, mein Junge. Einer muß sich ja um die Leute kümmern, die hierbleiben.«
»Sie wollen tatsächlich? Die Russen werden Sie umbringen.«
»Glauben Sie wirklich, daß ein Russe einen Arzt am Operationstisch erschießt, Berthold? – Und jetzt hauen Sie ab!«
Berthold schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn Sie bleiben, bleibe ich auch.«
»Hauen Sie ab. Mensch!« schrie Sorensen. »Sie widern mich an mit Ihrer Nibelungentreue.«
»Herr Stabsarzt!«
»Ich gebe Ihnen den dienstlichen Befehl, sofort abzurücken! Begreifen Sie denn nicht, daß Sie mit Ihrem billigen sogenannten Idealismus das Leben von neunzig Verwundeten aufs Spiel setzen?«
Vor der Barackentür hielt ein LKW. Krankenträger luden ein Dutzend blutender, zerschossener Leiber ab und schleppten sie herein.
»Sehen Sie jetzt ein, daß ich bleiben muß, Berthold?« fragte Sorensen seinen Assistenten.
Berthold hatte den Kopf gesenkt und preßte die Lippen zusammen.
»Und Sie sagen, Sie seien kein Held …«
»Wenn Sie dieses Wort in meiner Gegenwart noch einmal gebrauchen, werfe ich Ihnen die Säge an den Schädel!«
Unterarzt Dr. Berthold legte grüßend die Hand an die Mütze.
»Auf Wiedersehen, Herr Stabsarzt.«
»Auf Wiedersehen, mein Junge. Wenn Sie mal Zeit haben, gehen Sie bei meiner Frau vorbei. Sagen Sie ihr, daß ich sie und die Kinder über alles liebe. Und daß ich wiederkomme.«
Zwei Stunden später rollten die ersten
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