Fronttheater
genügt.«
Lore Sommerfeld schluchzte auf …
Sie zwangen sich, nicht mehr aus dem Fenster zu sehen.
Mit gesenkten Köpfen warteten sie …
Das Warten auf das anscheinend unvermeidliche Ende der Theatertruppe war zermürbend.
Was würde in wenigen Minuten geschehen? Für die Männer – Tod oder Gefangenschaft. Und für die Mädchen …
Karl Pykoras Finger glitten streichelnd über die Tasten seines alten Akkordeons.
Die Melodie eines Chorals klang seltsam zerhackt durch den Bus.
»Vorbei. Für immer vorbei«, murmelte Pykora. Nie wieder würde er an einer Orgel sitzen.
Er warf einen schnellen Blick aus dem Busfenster: Immer näher kam die auseinandergezogene Schützenlinie auf sie zu. Er konnte jetzt schon die Waffen der Männer erkennen, die durch den tiefen Schlamm wateten. Die Waffen, die ihn umbringen würden …
Das Akkordeon verstummte mit einer schrillen Dissonanz.
»Ich will nicht«, flüsterte Karl Pykora mit bebenden Lippen. »Ich will nicht …«
Irene Berthold legte behutsam die Hand auf seine Schulter. Sie brachte sogar ein Lächeln zustande, als sie ganz nahe an den jungen Musiker heranrückte.
»Spiel weiter, Karl«, bat sie leise.
»Ja«, sagte Pykora. »Ja.« Plötzlich ergriff er Irenes Hand und küßte sie. »Ich liebe dich«, sagte er leise. »Ich meine …« Er schien vor der Heftigkeit seiner eigenen Worte erschrocken. »Ich meine, nicht als Mann. Ich liebe dich wie …«
»Wie ein Bruder«, half Irene nach.
»Ja«, sagte Pykora mit erleichtertem Aufatmen. »Wie ein Bruder.« Er hielt ihre Hand fest. »Ich glaube, ich wäre schon umgekommen, wenn du nicht gewesen wärst.«
Irene blickte in das bleiche Gesicht Pykoras. Es war fast kindlich in dem Ausdruck vertrauensvoller Dankbarkeit.
»Du brauchst mir nicht zu danken, Karl«, sagte sie und strich ihm eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. »Du hast mir auch geholfen. Einfach weil du da warst und weil du so bist, wie – wie du eben bist.«
Pykora senkte den Blick auf die Tasten des Akkordeons.
»Spiel weiter, Karl«, bat sie noch einmal.
Erika Nürnberg und Fritz Garten saßen auf der letzten Bank des Busses. Erika hatte ihren Kopf an Gartens Schulter gelehnt. Ihr rotes Haar streichelte seine Wange.
»Wie lange noch?« flüsterte sie, ohne ihren Kopf zu drehen.
Fritz Garten sah aus dem Fenster. Die Männer waren kaum mehr ein Schemen in dem gleißenden Sonnenlicht. Schemen, die Waffen in den Händen trugen und unaufhaltsam auf sie zu wateten. Die Schützenlinie war noch weiter auseinandergezogen. Ihre beiden Flügel schwenkten ein, um den wehrlosen Autobus von drei Seiten zu umzingeln.
»Noch drei, vier Minuten«, sagte Garten tonlos. Er legte seinen Arm schützend um Erikas Schulter und zog sie fest an sich. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, daß ich … daß ich dich … da wir, du und ich …« Er bekam seinen Satz nicht zu Ende, aber seine streichelnde Hand und der Ton seiner Stimme sagten alles.
»Ich habe es auch so gewußt«, flüsterte Erika.
»Ich hätte es dir nie gesagt, wenn nicht …« Garten stockte. Er wollte nicht aussprechen, daß ihr Leben gleich ausgelöscht werden würde. Ihre Wünsche und Hoffnungen auf die gemeinsame Zukunft.
Erika preßte sich fester in seinen Arm.
»Ich kam mir so gemein vor, als ich merkte, daß es mir genauso ging wie dir – aber trotzdem …«
»Und ich liebe Hans auch noch!« Erika schrie es fast. Als ob sie sich selbst überzeugen wollte. »Der Krieg hat ihn nur so anders gemacht. So fremd.« Sie hob den Kopf und sah Garten mit flehenden Augen an. »Verstehst du, was ich sagen will? Ich muß mir über einiges klarwerden. Auch über mich selbst. Später wird …« Es fiel ihr ein, daß es ja nie ein ›Später‹ geben würde.
Mit einem trockenen Aufschluchzen schlang sie ihre Arme um Gartens Hals. »Ich weiß nicht weiter, Fritz«, wimmerte sie leise. »Aber ich will nicht von dir getrennt werden … Ich will nicht!«
Lore Sommerfeld hockte auf dem schmutzigen Boden. Sie hatte die Hände vor ihrem Leib gefaltet und starrte ausdruckslos vor sich hin.
Wie oft muß ich noch sterben? fragte sie sich. Warum habt ihr mich damals gerettet, als ich freiwillig gehen wollte?
Sie haßte sie plötzlich alle: Garten, Erika, Irene … Warum habt ihr mir diese Todesangst nicht erspart? Wer hat euch das Recht gegeben, mein Leben zu retten? Und jetzt kümmert sich kein Mensch um mich. Ihr habt alle mit euch selbst zu tun. Sogar Sonja …
Sonja Deppe saß dicht an
Weitere Kostenlose Bücher