Frost, Jeaniene
und Denise war bereits dazu übergegangen, dringende Bedürfnisse
vorzutäuschen, nur um ab und zu ein paar Minuten ungestört sein zu können.
Innerlich
war sie hin- und hergerissen. Einerseits war sie wütend auf Spade, der ihr
diese Rundumüberwachung eingebrockt hatte. Wenn er so besorgt war, dass ihr
etwas zustoßen könnte, wieso war er dann abgereist? Andererseits fand sie es
rührend, wie ernsthaft er um ihre Sicherheit bemüht war ... aber lag das an
seiner Freundschaft zu Bones und Cat, oder steckte etwas anderes dahinter?
Die Frage
nach Spades Beweggründen löste ein wahres Gefühlschaos in ihr aus, und dabei
stand sie sowieso schon völlig neben sich, weil sie vor zwei Tagen ihre
Periode bekommen hatte. Warum hatte Spade sie vor seiner Abreise geküsst? Um
bei Emma und Alten den Eindruck zu erwecken, sie wäre seine Freundin? Paare
gaben sich eben Abschiedsküsse, und sie wollten schließlich wirken wie ein
Paar. Nichts an diesem Kuss hätte ihr ungewöhnlich vorkommen sollen, nur konnte
sie einfach nicht aufhören, über ihn nachzudenken.
Hatte
Spade alles nur gespielt? Der Kuss war ihr gar nicht gespielt vorgekommen. Kundig, fordernd, leidenschaftlich und ... verheißungsvoll hatte er
sich angefühlt. Als wollte Spade ihr einen kleinen Vorgeschmack auf seine
Fähigkeiten als Liebhaber geben. Oder war es einfach nur der routinierte Kuss
eines Mannes mit jahrhundertelanger Erfahrung gewesen, für Spade nicht
bedeutungsvoller als alles, was er seinen Leuten ohnehin schon vorgegaukelt
hatte?
Und die
bangste aller Fragen: Was wäre ihr lieber gewesen?
Denise
drehte den Wasserhahn auf, damit Alten nicht merkte, dass sie sich nur verkrümelt
hatte, um ihn los zu sein. Wenn sie versuchte, sich zu entscheiden, ob ihr echte
oder unechte Emotionen von Spade lieber wären, fuhren ihre eigenen Gefühle
Achterbahn. Seit Tagen versuchte sie, Spade ganz nüchtern zu sehen, aber es
wollte ihr einfach nicht gelingen.
Wäre sie
ehrlich zu sich selbst gewesen, hätte sie sich eingestanden, dass sie sich
bereits stark zu ihm hingezogen gefühlt hatte, als sie ihn auf Cats Party zum
ersten Mal gesehen hatte. Denise war gerade in einen Plausch mit Cat vertieft
gewesen, als sie plötzlich den Drang verspürt hatte aufzusehen. In der Tür
hatte ein Fremder gestanden, das schwarze Haar mit Schnee bestäubt, den
durchdringenden Blick auf sie gerichtet. Als ihre Blicke sich trafen, hatte ein
ganz seltsamer Schauder sie überkommen, so als würde gleich etwas Wichtiges
passieren. Aber dann hatte Randy ihren Namen gerufen und Denise in die Realität
zurückgeholt, woraufhin sie ihre befremdlichen Gefühle dem Fremden gegenüber
verdrängt hatte.
Nun, über
ein Jahr später, spürte sie diese seltsame Anziehungskraft noch immer. Und sie
schien sogar noch stärker geworden zu sein. So sehr sie die Welt der Vampire
im Allgemeinen auch verabscheute, so sehr sehnte sie sich nach einem ganz
bestimmten Vampir.
Kaum war
ihr der Gedanke gekommen, fühlte sie sich auch schon wieder schuldig. Jetzt
schon war Randy nicht mehr der Letzte, der sie geküsst hatte. Ja, Denise
wusste, dass Randy eines Tages auch nicht mehr der Letzte sein würde, mit dem
sie Sex gehabt hatte, aber war es nicht zu früh, jetzt schon an einen anderen
zu denken, insbesondere wenn dieser andere ein Vampir war? Randy
war in einem Vampirkrieg umgekommen, sodass sie in gewisser Weise mit dem
Feind gemeinsame Sache machte.
Eigentlich
bist nur du schuld an seinem Tod, höhnte ihr schlechtes Gewissen. Nicht
genug damit, dass du ihn in ein Haus voller Vampire geschleift hast; du hast
auch noch zugelassen, dass Randy mitten im Kampfgeschehen den Keller
verlässt, während du im sicheren Versteck geblieben bist.
Denise
nahm die Seife, schleuderte sie quer durchs Badezimmer und war erleichtert,
als sie nur die Wanne traf. Gelang es ihr, Nathanial zu finden und die Zeichen
loszuwerden, würde sie verhindern können, dass noch mehr Menschen, die sie
liebte, durch ihre Schuld sterben mussten. Sie würde der Welt der Vampire aus
dem Weg gehen können und auch all den Gefühlen, die Spade in ihr aufgewühlt hatte;
nur sich selbst und ihrer Schuld an Randys Tod musste sie ins Gesicht sehen.
In diesem
Augenblick kam Alten hereingepoltert, die Fänge gebleckt, die Augen ampelgrün,
ein riesiges Messer in der Hand.
»Was ist
passiert?«, knurrte er, während er grimmig das Badezimmer abschritt. »Ich habe
Lärm gehört.«
Ihr Herz,
das sofort wild zu pochen begonnen hatte,
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