Frost, Jeaniene
daran gehindert hatte, die tiefe Verbundenheit zu erkennen,
die sie Spade gegenüber empfand. Manchmal verstand er sie besser als sie sich
selbst. Wenn Spade sie ansah, kam sie sich nicht vor wie die gebrochene,
bedauernswerte, hilflose Witwe, die andere in ihr sahen. Spade sah sie als
Frau mit einer schweren Vergangenheit, die die Kraft hatte, trotz ihres
Verlustes weiterzuleben. Und immer weniger sah Denise in Spade nur einen
Vampir, der in einer Welt voller Gewalt lebte - sie sah in ihm einen Mann, der
den Mut hatte, mit allem fertigzuwerden, was das Leben für ihn bereithielt, und
das Beste daraus zu machen.
Sie sah in
ihm einen Mann, mit dem sie sich eine Zukunft wünschte.
Die
Heftigkeit ihrer Gefühle war schockierend, doch Denise war zu müde, um über
all die Hindernisse nachzugrübeln, die sich ihnen vielleicht in den Weg
stellen konnten. Aber im Augenblick musste sie sich darüber keine Gedanken
machen. Sie konnte einfach nur hiersitzen und sich dem wundervollen Gefühl von
Nähe, Geborgenheit und Angekommensein hingeben.
Nach all dem Schrecken, dem Kummer und dem Schmerz der letzten Monate hatte
sie das auch dringend nötig.
Später
dann würde sie tun, was getan werden musste.
20
Spade
hatte sich über Denise gebeugt. Ihr schönes Gesicht wirkte im Schlaf so
friedlich, frei von all dem Kummer, der Anspannung und den Gewissensnöten, die
es normalerweise verdüsterten. Er wollte sie nicht aufwecken, weil ihm klar
war, dass während der letzten Tage nur ihr eiserner Wille sie noch aufrecht
gehalten hatte. Sie hatte sich nicht einmal geregt, als er sie vom Wagen in
sein Zimmer getragen und aufs Bett gelegt hatte. Aber länger konnte er sie
einfach nicht schlafen lassen.
»Denise.«
Er konnte dem Drang, ihr Gesicht zu berühren und seine Hand über ihren Hals
gleiten zu lassen, einfach nicht widerstehen. Ihre Haut fühlte sich an wie
flüssiger Satin und wirkte nicht weniger berauschend auf ihn als ihr Blut.
»Denise, wach auf.«
Ihre Augen
öffneten sich und sahen ihn an, eine hypnotische Mischung aus Braun und Grün.
Sie blinzelte und lächelte dann verschlafen.
»Hey. Sind
wir schon da?«
»Seit vier
Stunden«, antwortete er; seine Mundwinkel zuckten, als sie sich umsah und
überrascht feststellte, dass sie sich in einem Schlafzimmer und gar nicht mehr
in dem Auto befand, in dem sie eingeschlafen war.
»Wow. Ich
muss ja ganz schön weggetreten sein.« Denise schüttelte den Kopf, setzte sich
auf, fuhr sich mit der Hand durch ihr dichtes dunkles Haar und strich es sich
aus dem Gesicht. Ihr Magen war ebenfalls aufgewacht, zumindest dem Grollen nach
zu schließen, das er von sich gab und das ihr sofort eine leichte Röte in die
Wangen trieb.
Spade trat
beiseite, sodass sie den Tisch mit den vielen abgedeckten Speisen hinter ihm
sehen konnte.
»Hamburger
mit Salat, Tomaten, eingelegten Gurken und Ketchup, extra Pommes, Hühnerbrühe,
Cracker und Schokoladenkuchen.«
Ihre Augen
weiteten sich, dann lachte sie. »Du hast dir alles gemerkt. Gott, Spade, ich
glaube, ich liebe dich.«
Das war
nur so dahingesagt, aber das Ziehen in der Brust, das Denises Worte in ihm
auslösten, traf ihn wie ein Fausthieb. Er war sich bereits im Klaren darüber,
dass ihm seit langer Zeit niemand mehr so viel bedeutet hatte wie Denise, aber
in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, wie ernst es wirklich um ihn stand. Ich habe
mich in dich verliebt. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das noch einmal
passieren würde - schon gar nicht bei einer Sterblichen.
Sie musste
ihm einfach erlauben, sie zur Vampirin zu machen. Er konnte auf keinen Fall zulassen,
dass sie der Nichtigkeit der menschlichen Existenz zum Opfer fiel, ständig vom
Tode bedroht, selbst unter ganz friedlichen Bedingungen. Solange sie sterblich
war, konnte sie sich an einem Bissen ihres Hamburgers verschlucken und ihm für
immer entrissen werden. Und wenn er ihr so viel bedeutete, wie er glaubte,
würde sie die Verwandlung zur Untoten selbst wollen, damit sie ganze
Jahrhunderte zusammen verbringen konnten. Nicht nur ein paar Jahrzehnte.
Denise
räusperte sich und sah weg. Ihr Honig-und-Jasmin-Duft nahm eine herbe Note an,
so peinlich war ihr kleiner Versprecher. Viel peinlicher, als er ihr hätte sein
müssen, es sei denn, ihr war auch klar, dass sie mehr verband als
Freundschaft, Not oder Lust.
»Ich muss
mit dir reden«, sagte sie und tat, als würde sie das Gemälde an der Wand
gegenüber betrachten. »Es ist wichtig, und ich will nicht, dass
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