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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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gigantischer
Grabhügel. Einige Umrisse erkannte sie, Kipplaster, Bagger und Kräne, aber der
größte Teil des Metalls hatte nachgegeben und durch Frost und Wind seine Formen
verloren, bis alles zu einem einzigen Berg aus verbogenen Trägern und
zerfallenen Maschinen verschmolzen war. Hunderte Tonnen in Vergessenheit
geratener Ausrüstung, planlos aufgeschichtet, zurückgelassen und im Verlauf der
nächsten Jahrtausende wie Kompost zerfallend. Chey konnte nur ahnen, wie
toxisch das Wasser durch die Absonderungen der toten Maschinen war. »Mein
Gott«, sagte sie wider Willen betroffen. Nachdem sie die letzten paar Wochen in
der völlig natürlichen Heiterkeit des Walds
verbracht hatte, nagten diese von Menschen hinterlassenen Ruinen an
ihrem inneren Gleichgewicht. »Was war das bloß für ein Ort?«
    Powell antwortete ihr aus den Schatten. »Einst eine Bergbaustadt.« Sie wandte sich nicht um oder ließ sich
anmerken, dass sie ihn gehört hatte. Sie wollte sich nicht bewegen. Sie wollte
nicht, dass er sie wieder schlug – ihre Schulter schmerzte noch immer vom
letzten Mal. »Das Gestein hier gehört zum ältesten der Erde, und es ist voller
Radium, Kobalt und Chrom. Außerdem enthielt es eine der größten Silberadern,
die je entdeckt wurden.«
    »Und du hieltest das für ein nettes Versteck«, sagte Chey leise. »Warum hat man Port Radium aufgegeben,
wenn es eine so blühende Stadt war?«
    »Darüber wolltest du sprechen?« Der Hohn in seiner Stimme jagte ihr
einen Schauer über den Rücken.
    Aber sie fand einfach nicht die richtigen Worte. Worte, die
erklärten, was sie ihm angetan hatte. »Sprich einfach weiter!«, bat sie und
spielte auf Zeit, um die richtigen Worte zu finden.
    Powell knurrte missmutig. Aber dann beantwortete er ihre Frage. »Es
war einfach zu aufwendig, das Silber auf gewinnbringende Weise abzubauen. Es
war teurer, es auszugraben und in die Zivilisation zu schaffen, als es
letztendlich wert war.«
    »Also haben sich die Leute einfach davongemacht.«
    »Nicht ganz«, sagte Powell. Seine
Stimme kam von links – da war sie sich sicher. Sie musste bereit sein für
den Fall, dass er sie wieder angriff. Sie spürte seinen Zorn wie Hitze im
Rücken. Aber noch redete er. »Man fand noch etwas anderes. Hier haben die
Amerikaner das Uran für ihre ersten Atombomben abgebaut.«
    Ungläubig starrte sie wieder auf die Stadt. »Echt?«
    »Man stellte die Dene-Indianer aus der Umgebung dazu ein, das Uran
in Jutesäcken zu Fuß abzutransportieren. Man hat immer behauptet, keiner hätte
gewusst, wie gefährlich das Zeug ist, aber eine ganze Generation von
Dene-Männern ist hier jung gestorben. Siehst du die dunklen Hügel dort
hinten?«, fragte er, und sie nickte. Fast überall gab es Erhebungen, die sich
wie riesige Ameisenhaufen aus dem flachen Land hervorwölbten.
    »Das sind Pechblendeabfälle. Was übrig blieb, nachdem man das
Uranerz raffiniert hatte. Alle paar Jahre kommt jemand von der Regierung vorbei
und misst, wie radioaktiv sie noch sind.«
    »Radioaktiv. Dieser Ort ist radioaktiv«, wiederholte sie, und ihr
brach der kalte Schweiß aus.
    »Ich hatte nicht geglaubt, dass mir deine Freunde bis hierher
folgen.« Jetzt war er näher, das verriet ihr seine Stimme. »Ich ging davon aus,
dass sie wissen, wie gefährlich es hier ist. Vielleicht kannst du es ihnen ja
sagen. Vielleicht verschwinden sie dann.«
    »Bobby würde mir nicht mehr zuhören«, sagte sie. »Er hält mich nicht
länger für einen Menschen. Und er hat recht, oder nicht? Das wollte ich dir
sagen. Dass ich inzwischen begreife, wer wir sind. Ich … ich habe es
akzeptiert.« Sie wandte sich mit erhobenen Händen um, bereit, nach den seinen
zu greifen. Er stand so nahe, dass sie seine Haut riechen konnte – sie
roch seinen Wolf.
    Sie erwartete, dass er sich auf sie warf und zu Boden schleuderte.
Das tat er nicht. Sie beugte sich zu weit vor und geriet ins Stolpern, fiel
aber nicht. Als sie sich misstrauisch und viel zu steif wieder aufrichtete, hob
er die Hand, und sie schwang die Arme herum, um sie abzuwehren. Aber es sollte
gar kein Schlag sein. Er hielt eine kantige
schwarze Pistole. Er hatte offenbar Pickersgills Leichnam gefunden und
eine von dessen Waffen an sich genommen.
    »Powell«, hatte sie noch Zeit zu
sagen. »Bitte. Tu es nicht. Verstehst du denn nicht? Ich weiß, warum du
hergekommen bist. Ich weiß, warum du dein Leben abseits von anderen Menschen
verbracht hast. Ich weiß, dass ich das Gleiche tun muss. Aber ich

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