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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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kratzte sich am Bart. »Wir brauchten eine Weile,
um ihn aufzuspüren. Er versteht sich wirklich leise zu bewegen. Aber nachdem
wir Sie nun beide am selben Ort haben, sollte alles kinderleicht zu erledigen
sein.«
    »Sie glauben also, wenn er mich heulen hört, kommt er.«
    »Sie haben’s kapiert. Sobald der Mond aufgeht und Sie mit Ihrem
Konzert anfangen, zeigt er sich. Dann bringen wir den Auftrag zu Ende und
können nach Hause gehen. Abgesehen natürlich von Ihnen beiden.«
    »Und Ihrem Bruder«, warf Chey ein. Pickersgill zu provozieren, war
vermutlich kein guter Einfall, aber sie konnte sich die Bemerkung nicht
verkneifen.
    »Ja. Wir haben schon eine Weile nichts mehr von Frank gehört. Ich
nehme an, Sie haben etwas damit zu tun.«
    Chey seufzte. Schuldgefühle krampften ihr den Magen zusammen, als
hätte sie etwas Falsches gegessen. »Man könnte sagen, ich habe ihn getötet.
Meine Wölfin war’s. Wie es aussieht, bin ich ein Raubtier.«
    Pickersgill kratzte sich wieder am Schnurrbart. Sie fragte sich, ob
er wohl Flöhe hatte. »Nun ja, das schätze ich auch«, erwiderte er schließlich.
»Was bedeutet, dass ich das bessere Raubtier bin. Ich bin schlauer als Sie, und
ich habe die besseren Waffen. Also gewinne wohl ich.«
    Darauf wusste sie nichts zu erwidern.
    Pickersgill zog mit der Linken ein Handy aus der Tasche und wählte
eine Nummer. Die Pistole in seiner Rechten senkte sich ein wenig, bis sie nicht
mehr unverwandt auf Chey deutete, aber er steckte sie nicht weg. Er war
tatsächlich ziemlich schlau, das musste sie ihm lassen. Er hatte alles besser
durchdacht als sie.
    Nun, sie war im Pläneschmieden nie besonders gut gewesen. Ihr ganzes
Leben lang war sie eigentlich immer ihrem Bauchgefühl gefolgt. Und jetzt würde
es sie umbringen.
    Nein.
    Ihre Wölfin hieß das nicht gut. Sie nahm den Tod nicht so ohne
Weiteres hin.
    Sie musste handeln. Sie betrachtete den geborstenen Parkplatzbelag, den zerbrochenen Asphalt und das Geröll.
Der Hubschrauber bewegte sich wieder und hielt auf die andere Seite der Stadt
zu. Bald verschwand er hinter rostgefleckten Mauern und Hügeln aus dunkler
Erde, verlor sich am purpurfarbenen Himmel, der sich bald in Finsternis
verwandeln würde.
    Cheys Gedanken rasten. Sie musste sich entscheiden, was sie als
Nächstes tun sollte. Wäre Pickersgill bloß einen Schritt näher gekommen, hätte
sie nach ihm treten können. Hätte ihm vielleicht die Beine um den Hals
schlingen und ihm das Genick brechen können. Sie konnte ihm auch in die Augen
spucken, und wenn er sie sich wischte, konnte sie ihm die Pistole aus der Hand
treten. Dann konnte sie ihm das Knie hart genug gegen das Kinn rammen und ihn
ausschalten.
    Sie hatte keine Vorstellung, wie es danach weitergehen sollte, da
sie noch immer an den Lichtmast gefesselt wäre. Aber einen Versuch war es wert.
    »Hey«, sagte sie.
    Pickersgill sah auf.
    »Ihr Bruder hat mir noch etwas gesagt, bevor er starb.«
    »Ja?«, fragte er.
    »Ja. Wenn Sie herkommen, flüstere ich es Ihnen ins Ohr.«
    Er grinste sie an. »Netter Versuch.« Er trat einen Schritt zurück.
    Okay, dachte sie im Stillen. Zeit für Plan B.
    Sie spannte die Arme an und zog an der Kette, die ihre Hände
fesselte. Sie spürte, wie solide das Metall war. Chey war stärker als jedes
menschliche Wesen, aber vermutlich konnte sie die Kette nicht zerbrechen.
Tatsächlich war sie sich da sogar ziemlich sicher. Sie zog trotzdem. Die
Muskeln in ihren Armen spannten sich und brannten, aber der Stahl hielt stand.
Sie grunzte, biss die Zähne zusammen und zog
stärker. Die Handschellen gruben sich in ihre Handgelenke und schabten
wie stumpfe Messer an ihrer Haut. Schweiß trat ihr auf die Stirn.
    Die Kette hielt.
    »Das wird wohl nichts«, sagte Pickersgill. Er kratzte genussvoll und
ausgiebig, ließ den Pistolenarm locker an der Seite hinabhängen. »Entspannen
Sie sich einfach, okay? Bis zum Mondaufgang dauert es noch lange genug. Sie
wollen sich doch nicht die Schultern auskugeln.«
    Chey starrte ihm in die Augen und zog mit jeder Muskelfaser ihres
Körpers. Das Blut pochte in ihrem Kopf, ihre Armknochen bogen sich und drohten
zu brechen. Sie zog stärker. Die Kette gab nicht nach.
    Der Lichtmast hinter ihr schon. Ihre Aktion übte Druck auf den
hohlen Mast aus. Plötzlich knickte er wie ein Strohhalm ein und kippte über
ihre Schultern nach vorn. Die beiden Leuchten
an der Spitze krachten zu Boden und pulverisierten das restliche Glas. Das Gewicht stieß Chey zur Seite, und ihr

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