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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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ab. Er hielt seine Mütze vor den Körper. Hätten sie ihn
umarmt, hätten sie die Mütze zerdrückt, und das wollte niemand. Chey war
beeindruckt. Sie bedauerte, nicht daran gedacht zu haben, eine Mütze zu tragen.
    Danach verlor sie Onkel Bannerman aus den Augen, aber gegen Ende der
Feier kam er auf sie zu. Sie vermutete, dass er ihr versichern wollte, wie leid
ihm der Verlust doch tue, und sie nahm die korrekte Haltung mit
niedergeschlagenem Blick ein. Stattdessen ging er neben ihr in die Hocke und
sah nicht weg, bis sie seinen Blick erwiderte.
    »Ich wollte ganz besonders dir etwas sagen«, verkündete er. Als sie
nicht antwortete, fuhr er einfach fort. »Ich war sehr beeindruckt von der Art
und Weise, wie du entkamst.«
    Sie kniff die Augen zusammen. Das hatte keiner der Trauergäste zur
Sprache gebracht. An diesem Tag sollte sich alles um ihren Vater drehen. »Ich
musste etwas tun, sonst wäre ich gestorben«, sagte sie in dem Versuch, seine
Worte herunterzuspielen.
    »Nicht jeder hätte die Geistesgegenwart gehabt, diese beiden
Verhaltungsweisen miteinander zu verknüpfen. Nur sehr wenige Leute hätten die
Entschlossenheit besessen, das so durchzuziehen.« Er lächelte sie an und
richtete sich auf. Das war alles, was er hatte sagen wollen.
    Eine Frage schoss aus ihr heraus
wie ein Rülpser. Sie hatte keine Kontrolle darüber. Tatsächlich kämpfte
sie sogar dagegen an. Dieser Mann war schließlich der Bruder ihres Vaters. Auch
seine Trauer musste sehr tief sein, damit sollte sie sensibel umgehen. Aber sie
musste einfach fragen.
    »Sterben Menschen so?«, verlangte sie zu wissen. »Sie verschwinden
einfach. Und dann – nichts mehr. Es ist nichts mehr da.«
    Er musterte sie mit hartem Blick, als überlege er, was er darauf
antworten solle. »Ganz genau so spielt es sich ab«, antwortete er.
    »Ein Mensch geht einfach.« Ihre
Stimme wurde lauter. Sie schien sie nicht beherrschen zu können. »An
einem Tag ist er noch hier, am nächsten existiert er nicht mehr. Selbst wenn es
dein Vater ist. Weil niemand sicher ist. Niemals.«
    Etliche der schwarz gekleideten Tanten wandten sich um und starrten sie
an. Aber Onkel Bannerman erwiderte bloß ihren Blick, sah nicht weg. Er sagte
kein Wort, musterte sie bloß. Schließlich zog
er ein Taschentuch hervor, kein Papier, sondern ein echtes Taschentuch
aus Stoff, und reichte es ihr. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie
weinte.

24   Wochenlang
schlich ihre Mutter wie ein Geist durchs Haus. Sie betrat einen Raum und sah
sich um, als erkenne sie ihn nicht wieder. Sie sprach nicht viel, und wenn sie
es doch tat, dann nur um zu verkünden, dass mit ihr alles in Ordnung sei, dass
es ihr gut gehe, dass sie bloß müde sei. Mit großer Energie packte sie
sämtliche Sachen von Cheys Vater in Kisten. Das meiste ging an die Kirche in
der Nachbarschaft, obwohl die Clarks nie besonders religiös gewesen waren.
Andere Habseligkeiten landeten einfach im Müll. Man kümmerte sich um sämtliche
Besitztümer des Verstorbenen. Der Wagen, den der Wolf angegriffen hatte, stand
noch immer dort draußen, irgendwo im Westen auf dem Parkplatz eines
Polizeireviers. Cheys Mutter bat die Beamten, ihn für wohltätige Zwecke zu
spenden, aber das verursachte Probleme mit der Versicherung, also führte sie
eine Woche lang jeden Tag Telefongespräche und verschickte Briefe und E-Mails,
bis sich schließlich jemand einverstanden erklärte, sich um den Wagen zu
kümmern. Das Testament von Cheys Vater war ziemlich simpel – alles ging an
ihre Mutter. Aber wie sich herausstellte, bedeutete selbst ein ziemlich
einfaches Testament eine Menge Arbeit. Ein Rechtsanwalt kam ein paarmal zu
ihnen nach Hause. Er brachte Chey Schokolade mit, was irgendwie seltsam war,
aber sie bedankte sich höflich und aß sogar ein Stück, während er zusah und
lächelte.
    Schließlich ging ihre Mutter wieder
arbeiten. Sie war Rechtsanwaltsgehilfin in einer Anwaltsfirma. Sie
behauptete, nicht wieder dorthin zu müssen, dass sie zu Hause bei Chey bleiben und ihr helfen wolle, aber Chey behauptete,
auch allein klarzukommen. Das war eine weitere
Lüge, und ihre Mutter wusste, dass es eine Lüge war, aber als Chey
nichts mehr dazu sagte, verkündete die Mutter, dass es in Ordnung sei, dass sie
wieder arbeiten werde. Aber sie werde auch eine Möglichkeit finden, es
wiedergutzumachen. Am ersten Tag rief sie Chey mindestens ein Dutzend Mal an,
um sich zu erkundigen, was sie gerade tat. An diesem Abend kam sie nach Hause
und

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