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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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auszuweichen, als sie das Holz sorgfältig unter einer
blauen Plane aufschichtete.
    »Warum hast du dir die ganze Mühe gemacht?«, fragte er sie. »Das ist
mehr, als wir heute Abend brauchen. Das ist genug Holz für mindestens eine
Woche.«
    »Ja, Sir«, erwiderte sie. »Aber ich dachte mir, dass es morgen
regnen könnte, und so muss ich nicht im Schlamm nach Ästen suchen.«
    »Hm.« Seine Brauen hoben sich.
»Gut mitgedacht.«
    Seine Worte … verliehen ihr ein Gefühl … sie wusste nicht, wie sie
sich fühlte. Aber es war gut. Sie fühlte sich gut, nachdem sie ihm dieses Lob
abgerungen hatte. Es war gut.
    Nach der ganzen harten Arbeit war sie verschwitzt und klebrig vom
Harz, also fuhren sie ins Tal zu einem kleinen Naturpark mit einem See, wo das
Wasser warm genug zum Schwimmen war. Es gab eine kleine Umkleidekabine, und er
ging zuerst. In seiner Badehose sah er einfach nur lächerlich aus, aber es
gelang Chey, nicht loszuprusten. Danach zog sie ihren schwarzen Einteiler an.
Sie verließ die Kabine, sah ihn und winkte. Er kam auf sie zu, aber dann
verhärtete sich seine Miene, und er blieb stehen.
    Sie blickte an sich hinab in der Annahme, dass der Badeanzug
möglicherweise zu viel entblößte. Dann begriff sie, was er entdeckt hatte. Ihre
neue Tätowierung. Sie hatte bezüglich ihres Alters geschwindelt und sie am
Stadtrand stechen lassen. Ihre Mutter hatte sie nie zu Gesicht bekommen –
niemand außer ihren Freunden hatte sie zu Gesicht bekommen. Die Tätowierung war
mit brauner Tinte gemacht und ziemlich schlicht, nur die Silhouette einer
Wolfspfote oben auf ihrer linken Brust.
    »Es ist nichts, Sir«, sagte sie und starrte zu Boden.
    »Es ist eine Schamlosigkeit«, erwiderte er. Er hielt die Arme
seitlich vom Körper, die Hände waren zu Fäusten geballt. Wäre er nicht so
zornig gewesen, hätte er lächerlich ausgesehen. »Warum in aller Welt hast du
das getan?«
    Sie versuchte die richtigen Worte zu finden, aber es gelang ihr
nicht. Jahre später wäre ihr die richtige Antwort eingefallen. Weil der Wolf stärker war als ich , hätte sie erwidert. Weil ich seine Kraft wollte . Zu diesem Zeitpunkt konnte sie
bloß in Tränen ausbrechen. Die meisten Menschen hätten nun einfach nachgegeben,
vielleicht sogar die Arme nach ihr ausgestreckt und sie zu trösten versucht.
Onkel Bannerman stand einfach nur da und wartete, bis ihre Tränen versiegt
waren.
    Am nächsten Tag brachte er sie zum Flughafen und schickte sie nach
Hause zurück.

26   Mit
neunzehn hatte es sie nach Edmonton, Alberta, verschlagen, fast tausend
Kilometer von der Stadt entfernt, in der ihre Mutter lebte. Sie wollte nur
möglichst weit weg von der verrückten alten Fledermaus. Vor ihrem Aufbruch
hatte es ein paar heftige Auseinandersetzungen
zwischen ihnen gegeben, und sie hatten sich nur noch angebrüllt.
Schlimmer sogar. Sie hatte ihrer Mutter eins auf die Nase gegeben. Nicht allzu
kräftig. Es hatte nicht geblutet. Aber bevor sie zurückkehren konnte, musste
einige Zeit vergehen.
    Edmonton war okay. Es war riesig,
fühlte sich aber immer halb leer an. Es gab ausgedehnte Parks, in denen man
lange herumspazieren konnte, und genügend billige Buden als Unterkunft. Zuerst
versuchte sie es mit ein paar Mädchen in ihrem Alter, in einer netten, sicheren
und sauberen Wohnung in der Nähe von Old Strahcona. Aber nach sechs Monaten war
Chey klar, dass sie nicht mit anderen Menschen zusammenleben konnte. Die
wollten nachts schlafen, während ihr wenige Stunden Schlaf genügten. Nachdem
die Mädchen zum vierzig- oder fünfzigtausendsten Mal um drei Uhr morgens an
ihre Tür gedonnert und sie angeschrien hatten, ihre Musik auszumachen, war sie
ausgezogen.
    Danach bezog sie ein Zimmer über einer Autowerkstatt. Den ganzen Tag
über musste sie sich den Lärm von Blech anhören, das man in Stücke schnitt,
aber das war nicht so schlimm. Auch wenn es ein bisschen so wie der Wagen
klang, als der Wolf danach krallte. Davon abgesehen war die Miete kaum der Rede
wert.
    Sie besorgte sich einen Job als Bedienung in einer Bar, was besser
zu ihrem Schlafzyklus passte als eine Tätigkeit als Sekretärin oder
Verkäuferin. Zuerst hatte sie sich Sorgen gemacht, die ständige Nähe zu so viel
Alkohol könne ein Problem darstellen, auch wenn sie sich inzwischen eher zurückhielt. Auf der Highschool hatte sie
aufgehört, sich in den Schlaf zu trinken, weil sie morgens beim Aufwachen nicht
mehr gewusst hatte, wie sie überhaupt in ihr Bett gekommen war. Als sich

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