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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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verängstigt – sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie
da erwartete. »Deine Mutter hat mir erzählt, dass sie in deiner Schultasche Pot
gefunden hat«, sagte er. »Das wird nie wieder passieren. Richtig?«
    »Ich denke schon«, erwiderte sie. Das Pot hatte ihr sowieso nicht
zugesagt. Sie hatte sich danach merkwürdig und benommen gefühlt, und es hatte
sie paranoid gemacht – sie hatte auf alle Schatten im Zimmer gestarrt, und die hatten sich ständig verändert.
Hatten sie eingekreist. »Von mir aus.«
    »Wenn du mit mir sprichst, wirst du mich mit Sir ansprechen«, fuhr
er fort. Er meinte es ernst. »Deine Mutter berichtete mir, dass du mit einer
üblen Clique zusammen bist. Älteren Mädchen, die bereits schlechte
Angewohnheiten haben.«
    Sie wand sich und trat mit der Schuhspitze in den lockeren Boden.
»Vielleicht. Aber sie wissen, wie man kämpft«, sagte sie. Wenn irgendjemand
diese Erklärung verstand, dann nur er, so
vermutete sie. »Ich dachte, sie könnten es mir irgendwie beibringen. Ich
meine – Sir.«
    »Kämpfen ist eine schlechte Angewohnheit«,
erwiderte er, was nicht viel Sinn ergab, war
er doch in der Army. Aber sein Blick verlor ein wenig von seiner Härte.
»Cheyenne, es liegt ein Unterschied darin, in Kämpfe verwickelt zu werden oder
sich zu verteidigen.«
    Sie starrte ihn bloß an. Er hatte es kapiert – er wusste genau,
was sie lernen wollte. Was sie hatte herausfinden wollen, als sie so viel Zeit
mit den hartgesottenen Mädchen verbracht hatte. Sie war erstaunt. Ehrlich
gesagt hatte sie das alles nicht so richtig durchdacht.
    »Schluss damit. Konzentrieren wir uns auf das vor uns Liegende und
nicht auf die Vergangenheit. Diesen Sommer wirst du sehr einfach leben. Du
wirst hier oben bei mir bleiben, und wir werden nicht abreisen, bevor ich es
beschließe. Es ist deine Sache, wie du hier die Zeit verbringst. Du kannst mir
helfen. Du kannst unser Feuerholz sammeln und jeden Abend das Geschirr spülen.
Oder du tust nichts. Du kannst im Lager herumsitzen und ins Leere starren.
Deine Entscheidung.«
    Jedem anderen hätte sie gesagt, er
solle sich verpissen. Sie wäre einfach nachts davongelaufen und per
Anhalter in die Stadt zurückgefahren. Aber er war Onkel Bannerman. Er hatte sie
nie angelogen, selbst wenn es vielleicht ratsamer gewesen wäre. Und er hatte
sie nie wie ein Kleinkind behandelt. Das bedeutete ihr mehr, als sie
auszudrücken vermochte. Also scheuerte sie seine Teller, wusch seine Kleidung
im Fluss und nannte ihn Sir.
    In den ersten paar Tagen unterliefen ihr viele Fehler. Sie sammelte
grünes Holz, das ewig brauchte, bis es brannte, und dann gewaltige schwarze
Rauchwolken produzierte. Sie machte ein Loch in eines der Hemden ihres Onkels,
weil sie einen Fleck mit einem Stein bearbeitete. Er hatte nie ein böses Wort
für sie, aber er nahm sie auch nicht in die Arme und behauptete, es sei alles
in Ordnung – er zeigte ihr einfach, was sie falsch gemacht hatte und wie
sie es beim nächsten Mal richtig machte. Nachts musste sie auf einer Decke auf
dem harten Boden schlafen, und ihr tat der ganze Körper weh. Sie vermisste ihre
Freunde, vermisste Fernsehen und Pizza und
vernünftige Klamotten. Manchmal weinte sie und sehnte sich nach ihrer
Mutter. Manchmal dachte sie daran, wegzulaufen, im Schutz der Dunkelheit zum
Highway und dann weiter bis nach Kanada zu trampen. Dieser Gedanke jagte ihr
noch mehr Angst ein. Er ängstigte sie, weil sie hier offenbar etwas lernen
sollte. Lief sie davor weg, fände sie nie heraus, was es eigentlich war.
Manchmal weinte sie sich wie ein kleines Kind in den Schlaf.
    Aber wenn sie am nächsten Tag erwachte, dann vielleicht mit steifen
Gliedern und stöhnend, aber stärker. Jeder Tag der Arbeit in diesem Lager
machte sie stärker.
    Eines Morgens stieß sie bei ihrer täglichen Feuerholzsuche auf einen
Windbruch, eine verrottende Tanne, die durch einen halben Morgen Wald gekracht,
bergab gerollt war und dabei Schösslinge zerschmettert hatte. Sie war ganz rot
und voller Harz, und sie wimmelte nur so vor Insekten. Mit ihrem Beil verarbeitete
Chey sie zu einem halben Klafter Feuerholz. Ihre Arme mit dem Beil hoben sich
immer wieder, um das Holz an der richtigen Stelle zu zerkleinern. Ihre Arme
schienen einfach nicht müde zu werden. Als sie das gesammelte Feuerholz auf
einer Schlepptrage zurück ins Lager zerrte, musterte Onkel Bannerman sie mit
echter Überraschung. Er saß da und trank Kaffee aus einer Blechtasse. Sie
versuchte seinem Blick

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