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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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einzigen Handbewegung riss ich mir den Wolfszahn vom Hals und schleuderte ihn von mir. Er flog Richtung Feuer und nahm den dunklen, brodelnden Knoten meiner Verzweiflung mit sich, trug all die Angst und Wut davon, die ich nicht herauszulassen wagte. Blutstropfen glitzerten im heißen Schein und dann landete der Wolfszahn mit einem leisen Zischen im Feuer.
    Nimm meine Botschaft. Höre mein Gebet.
    Als sich die Bergwächter umwandten, um zu sehen, woher das Geschoss gekommen war, und mich dort stehen sahen, stockte der Gesang. Ein wütendes Murmeln lief durch die Menge. Lucas Gesicht hellte sich auf, als er mich sah. Arian runzelte besorgt die Stirn. Ich beachtete nichts davon.
    Bitte, Urmutter. Heilige Urmutter. Ich werfe mich Dir zu Füßen. Ich lege mein Leben in Deine Hände. Ich flehe Dich an. Bitte.
    Hilf mir .
    Eine Stimme von überwältigender Kraft – prasselnd und speiend und gefährlich und trotzdem freundlich – sprach in meinen Gedanken. Ich schrie auf und presste unwillkürlich die Hände auf die Ohren.
    Meine Tochter. Du brauchtest nur zu fragen.
    Vor mir explodierte das Feuer und saugte mit einem großen, hohlen Tschsch Luft an.
    Die Bergwächter, die am nächsten waren, wichen mit überraschten und erschreckten Ausrufen zurück, als die Flammen wie die Ranken einer überirdischen Pflanze um sich schlugen. Feuer klammerte sich an die Luft und stieg auf, entfaltete sich, wand sich, wurde größer. Seltsame Farben – Farben, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und für die es keinen Namen gab – pulsierten darin und ließen meine Augen tränen. In Windeseile verwandelte sich die Feuerstelle in eine glühende Säule, die knisternd den Sternen entgegenzüngelte.
    Das Heulen des Wolfs war nun ohrenbetäubend und bohrte schmerzhafte Pfeile durch meinen Schädel. Eine dicke knackende Eisschicht bedeckte meine Haut. Mein Instinkt riet mir, mich umzudrehen und davonzulaufen. Wegzulaufen, bevor der Wolf die Kontrolle übernahm. Wegzulaufen, bevor alle sahen, was ich war. Wegzulaufen, bevor ich wieder jemanden verletzte.
    Ich zwang mich, einen Schritt vorzugehen. Die Bergwächter, die noch am Feuer standen, traten zur Seite, auf ihren Gesichtern lag Ehrfurcht und Angst. Ich ging weiter vorwärts, bis meine Füße auf den glatten weißen Steinen zur Ruhe kamen, die die Feuerstelle einfassten.
    »Frost, nein!«
    Lucas Stimme übertönte das Knurren des Wolfs und das Prasseln des Feuers. Steif gelang es mir, mich umzudrehen, die Bewegung ließ Eiskristalle von mir herunterrieseln. Luca streckte die Hand nach mir aus, die Augen voller Qual. Arian und ein anderer Bergwächter hielten ihn an seinem Harnisch zurück, als wollten sie ihn daran hindern, mir nachzustürzen.
    »Das darfst du nicht tun!«, schrie er. »Es ist Wahnsinn – nichts weiter als eine Legende. Du kannst sterben. Du kannst verbrennen. Vielleicht kommst du nie zurück!«
    Ich hätte ihm gern gesagt Es tut mir leid , doch meine Lippen bewegten sich nicht. Ich versuchte also, es mit den Augen zu sagen. Ich kann nicht mehr davonlaufen. Ich kann nicht vor dir davonlaufen. Es ist die einzige Möglichkeit, die mir bleibt.
    Dies – oder nichts.
    Den Blick fest auf seine Augen gerichtet, ließ ich mich rückwärts ins Feuer fallen.

Sechsundzwanzig
    Halb verbrannte Scheite knackten und zerbrachen, als ich auf sie fiel, rings um mich wirbelten schwarze Asche und glühende Funken auf, die lebendigen Geschöpfen ähnelten. Ich spürte keine Hitze. Nur eine angenehme Wärme an den Wangen, dem Bauch, den Händen. Langsam schmolz die dicke Eisschicht auf meiner Haut und begann zu verdampfen.
    Dann schloss sich die Feuersäule um mich.
    Weißglut umhüllte mich. Ich schrie und wand mich vor Schmerz. Meine Haut wurde schwarz und platzte und verdampfte schließlich. Ich verwandelte mich in einen schreienden Flammenstreifen mitten im Feuer. Einen kurzen Moment lang konnte ich Luca ebenfalls schreien hören, irgendwo außerhalb des Feuers, doch die Hitze nahm mir die Sicht. Ich konnte ihn nicht erkennen. Ich konnte überhaupt nichts erkennen.
    Psst, Wolfskind …
    Alles wurde weiß.
    Ich brauchte einen Moment, bevor mir klar wurde, dass ich noch lebte. Meine Lunge arbeitete wie ein Blasebalg. Mein Schreien hallte in meinem Kopf wider. Ich konnte meinen Herzschlag fühlen. Wenn mein Herz noch schlug, war ich nicht verbrannt.
    Versuchsweise bewegte ich eine Hand und erwartete, dass Schmerz mich durchzucken würde. Doch mein Arm bewegte sich ohne Probleme. Ich

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