Frostblüte (German Edition)
hatte, damit ich mich wohler im Lager fühlte. Ich dachte an ihre starken, geschickten Finger, wenn sie Kräuter sortiert oder Notizen gemacht hatte. Ich dachte daran, wie ihr Gesicht bei der Arbeit vor Entschlossenheit und Stolz gestrahlt hatte.
Das war nun alles vorbei, vielleicht für immer. Wegen des Wolfs. Meinetwegen.
»Es war nicht deine Schuld«, unterbrach Luca das Schweigen. »Du musst aufhören, dich selbst zu bestrafen.«
»Vielleicht muss Livia für den Rest ihres Lebens unter dem leiden, was ich getan habe. Im Vergleich dazu sind ein paar Schuldgefühle eine leichte Strafe.«
»Sie gibt dir keine Schuld. Ich gebe dir auch keine Schuld. Niemand gibt dir Schuld, nur du.« In Lucas Stimme schwang nun ein Anflug von Ungeduld mit. Er hatte mir diese Worte schon so oft wiederholt. Ich widerstand dem Bedürfnis, ihn anzuschauen, und hielt den Kopf gesenkt. Jeder Blick auf Luca war nun schmerzlich.
»Ich habe allen die blinde Wut erklärt, die von Zeit zu Zeit über dich kommt. Ich habe ihnen gesagt, dass es meine Entscheidung war, dich trotzdem kämpfen zu lassen. Ich habe ihnen gesagt, dass du nichts dagegen tun kannst. Ich trage die Verantwortung dafür.«
»Du meinst, du hast sie angelogen. Du hast ihnen nichts von dem Fluch erzählt. Von dem Wolf und den Menschen, die ich früher schon verletzt habe.«
»Wozu sollte das gut sein? Sie glauben nicht daran, dass ein Mensch verflucht sein kann. Ebenso wenig wie ich.«
»Sie haben ein Recht zu erfahren, wie gefährlich ich bin.«
»Das haben sie doch schon mit eigenen Augen gesehen. Du willst sie nicht warnen, du willst sie gegen dich aufbringen, um einen Grund zu haben davonzulaufen.«
Mein Kopf schnellte hoch.
Luca sah mich durchdringend an und ich fühlte, wie Schamesröte mein Gesicht wärmte – das einzig Warme in meinem kalten Körper.
»Weißt du, ich bin nicht blind«, sagte er, seiner Stimme war anzuhören, wie verletzt er war. »Ich sehe das Bündel, auf dem du sitzt.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Ich versuchte mich wegzudrehen, doch Luca kniete sich vor mich, legte seine starken Arme um mich und umhüllte mich mit Wärme. Sein Duft nach Sommer und Geißblatt ließ mich aufseufzen. »Ich lass dich nicht gehen«, flüsterte er, die Lippen auf meine Stirn gedrückt.
»Das ist nicht fair«, wehrte ich mich matt. Ich wurde schon weich, mein ganzer Körper zitterte vor Verlangen, mich an Luca zu lehnen. Ihn alles tragen zu lassen, was auf mir lastete.
Der Wolf ist meine Last.
Ich richtete mich abrupt auf, zwang mich, mich aus Lucas Armen zu lösen und aufzustehen. Ich drehte mich um und ging vor und zurück, vor und zurück, wie ein Tier im Käfig.
Luca erhob sich.
Ich wehrte ihn mit einer Hand ab. »Du kannst das nicht wieder gutmachen. Du kannst mich nicht gutmachen. Das kann niemand. Der Wolf wird immer stärker. Er braucht mein Blut nicht mehr. Ich kann jeden Moment die Kontrolle verlieren und jemanden angreifen. Auch dich. Ich kann dieses Risiko nicht eingehen. Sei der Hauptmann, als den ich dich kenne, und gib zu, dass du es auch nicht kannst.«
»Du brauchst mir keinen Vortrag über meine Pflichten zu halten«, sagte Luca leise und gequält. »Kannst du dir vorstellen, was ich durchgemacht habe, während du dich in diesem Zelt verkrochen und mit niemandem geredet hast? Wir haben zweiundzwanzig Leute bei dem Angriff verloren. Zweiundzwanzig von uns sind tot. Und im Krankenzelt sind immer noch ein paar, die vielleicht nicht durchkommen. Hind hat beinahe ein Auge verloren. Ich bin für all das verantwortlich, und irgendwie muss ich mir überlegen, was wir als Nächstes tun, und entscheiden, ob wir jetzt noch eine Chance gegen die Aufrührer haben. Ich brauche dich, Frost. Ich brauche dich bei mir, um das durchzustehen. Ich brauche keine Drohung von dir, dass du gehst.«
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich Luca hassen könnte. Warum konnte er nie aufgeben? Ich hatte große Lust, auf ihn loszugehen, wütend gegen seinen dummen, heldenhaften Optimismus anzuschreien und gegen seine Weigerung anzuerkennen, dass seine großartigen Pläne zur Bezwingung des Wolfs fehlgeschlagen waren. Nun verstand ich, warum Arian einen Wutanfall bekommen hatte, damals, in meiner zweiten Nacht im Lager, als er mich in Lucas Zelt angetroffen hatte. Es war überhaupt nicht um mich gegangen. Sondern um die Tatsache, dass Luca keinen Gedanken an seine eigene Sicherheit verschwendete und dass ihn das eines Tages umbringen würde.
Aber ich
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