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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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Mondlicht die Feuchtigkeit, die ihm über die Wangen lief. Ich ließ die Plane zufallen, so dass die Dunkelheit uns einhüllte.
    »Er ist alles, was ich habe«, flüsterte er, seine Stimme war so dünn und verängstigt wie die eines Kindes. »Er ist alles, was ich jemals hatte.«
    Ich tastete mich durch die Dunkelheit, kniete mich neben Arian auf das Bettzeug und nahm ihn fest in den Arm.
    »Nicht mehr«, sagte ich und starrte trockenen Auges in die Nacht. »Es wird alles gut, Arian. Du hast jetzt mich.«

Neunundzwanzig
    Als ich aufwachte, war Arian verschwunden.
    Ich setzte mich in dem zerknüllten Bettzeug auf, in dem wir uns in der Nacht trostsuchend aneinandergeklammert hatten, verlassene Waisenkinder, die wir nun waren, und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Ich hätte so gern geschrien und geschluchzt und geklagt. Doch genau wie in der Nacht zuvor schienen meine Tränen unauffindbar. Meine Augen waren so trocken und rau, als wären sie voller Sand. Es gab nichts, was den Kummer, der mich niederdrückte, hätte lindern können.
    Doch dann wurde mir bewusst: Rani hatte mich nachts nicht geholt.
    Luca lebte.
    Goldener Jubel durchflutete mich. Ich sprang aus dem Bett – ich war in Kleidern eingeschlafen – und rannte nach draußen.
    Als ich aus dem Zelt trat, wusste ich sofort, dass Livia oder Rani die Bergwächter über Luca informiert hatten. Über dem Lager hing eine grimmige Wachsamkeit. Die Sonne war längst aufgegangen, doch niemand machte Anstalten, die üblichen Übungen und Pflichten aufzunehmen. Die Bergwächter saßen in Gruppen vor ihren Zelten, redeten leise, immer wieder drehten sich ihre Köpfe zum Zelt der Heilerin. Als ich vorüberging, wurde ich mit Kopfnicken und Verbeugungen und ernsten, dankbaren Blicken bedacht. Ich nickte nervös zurück und eilte zu Livias Zelt.
    Drinnen lag Luca, die verbundenen Hände auf einer Decke gefaltet; weiße Stoffschichten verbargen die Brandmale auf seinen Wangen. Statt der zerfetzten Uniform, in der wir ihn gefunden hatten, trug er ein sauberes weißes Hemd, die Heilerinnen hatten den Schmutz aus seinem abgeschorenen Haar gekämmt, so dass es wie ein Lichtkranz auf dem Kissen leuchtete. Sein Atem – ein trockenes, kaum hörbares Krächzen – war das lauteste Geräusch im Zelt. Seine verschwollenen Augen waren fest geschlossen.
    Auch Rani schlief, eine unförmige Masse unter den Decken in Livias Bett. Arian saß im Schneidersitz auf dem Boden neben Luca, damit Livia, die auf einem niedrigen Schemel Kräuter zu einer Salbe zerdrückte, genügend Platz hatte. Beide blickten auf, als ich eintrat. Livia lächelte mich erschöpft an. Arian wich meinem Blick aus, er rutschte ein wenig zur Seite und beugte sich über Luca, als wolle er die Decke zurechtzupfen. Die Szene war friedlich und normal, und auch wenn mir das Herz beim Anblick von Lucas Verbänden schmerzte, war meine Freude, dass er es entgegen aller Wahrscheinlichkeit geschafft hatte, groß genug, um diesen Schmerz zu lindern. Luca würde gesund werden.
    Dann schrie er auf.
    Der heisere, gequälte Schrei war so schrecklich, dass ich die Worte zuerst überhaupt nicht wahrnahm. Doch sobald ich sie verstand, wünschte ich mir das Gegenteil.
    »Ion, nein! Bitte, Ion! Ion!«
    Luca starrte Arian an, seine verbundenen Hände zerrten an den Laken. Arian sprang auf und wäre in seiner Hast wegzukommen fast gestürzt, Rani setzte sich unvermittelt auf ihrem Lager auf. Livia hatte Stößel und Mörser fallen lassen und machte keine Anstalten, sie wieder aufzunehmen. Alle starrten Luca entsetzt und reglos an.
    Ich tat das Einzige, was mir einfiel.
    Ich setzte mich auf Arians Platz.
    »Psst«, murmelte ich und umfasste Lucas verbundene Hände. Ich küsste seine Fingerspitzen – das Einzige, was nicht eingewickelt war – und strich sanft über seine weichen Haarstoppeln. »Luca, du bist in Sicherheit. Du bist zu Hause. Du bist zu Hause bei mir.«
    Luca hörte auf, sich zu wehren. Er drehte sich in die Richtung meiner Stimme, seine verquollenen Augen schlossen sich wieder. Tränen durchnässten die Verbände auf seinem Gesicht. Ich streichelte weiter sein Haar und redete Unsinn, bis die Anspannung nachließ und sein Körper wieder reglos dalag.
    Das Leben im Lager der Berggarde folgte einem seltsamen, sich wiederholenden Muster. Die Soldaten exerzierten und übten, polierten ihre Waffen und Rüstungen und gingen auf Erkundungstouren, die Luca vor seiner letzten Rettungsaktion angeordnet hatte. Niemand machte den

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