Frostblüte (German Edition)
kleinen Zelt, das neben dem improvisierten Krankenzelt stand. Ich schlug die Plane zurück.
Im Licht der Fackeln sah ich Rani zwischen Kissen und Decken, neben ihr lag Livia. Beide Heilerinnen schreckten auf und waren sofort hellwach. Livias Haar stand ihr wie silbrige Strohbüschel um den Kopf.
»Was? Wer – Frost ?« Ranis Augen wurden schmal.
»Wir haben Luca gefunden. Er ist verletzt. Er braucht Hilfe.«
Rani schlug die Decken zurück und zog Hosen an, bevor ich zu Ende gesprochen hatte. »Zünde die Lampen an. Rasch!«
Livia machte sich an die Arbeit, doch sie kämpfte mit ihrem immer noch bandagierten Arm. Ich eilte ihr zu Hilfe und kurz darauf brannte goldenes Licht im Zelt.
»Ist er es wirklich?«, fragte Livia.
Ich sah auf und begegnete ihrem Blick. Was immer sie in meinem sah, ließ ihr gebräuntes Gesicht erbleichen.
Bevor wir ein weiteres Wort wechseln konnten, kam Arian herein. Vorsichtig legte er Luca auf die freie Lagerstatt im Zelt der Heilerin. Sowohl Rani als Livia schnappten nach Luft, als sie sein Gesicht sahen.
Livia riss die Tasche mit ihren Utensilien auf.
»Geht jetzt raus«, sagte sie, ohne den Blick von Luca zu wenden. »Geht raus und wartet. Wir brauchen Platz.«
Arian stand reglos da und starrte auf Lucas blutverschmierten Körper. Livia nickte mir zu. Ich nahm Arian an der Hand und zog ihn nach draußen. Das Lager war verlassen und still.
In dem Augenblick, als ich Arians Hand losließ, brach er zusammen – er fiel zu Boden, als könnten seine Beine ihn nicht länger tragen. Langsam ließ ich mich neben ihn fallen, ich zog die Knie an den Körper und umschlang sie mit den Armen.
»Er wird es schaffen«, sagte ich, nicht sicher, ob ich mit mir selbst oder mit Arian sprach. »Wir haben ihn zurückgebracht. Er wird wieder gesund.«
Arian gab keine Antwort. Ich bezweifelte, ob er mich überhaupt gehört hatte.
Es war, als wäre die ganze Nacht vergangen, bevor Rani endlich den Kopf aus dem Zelt streckte. Arian rappelte sich unbeholfen auf. Ich blieb auf der Erde sitzen.
»Es ist schlimm«, sagte Rani, ohne unsere Fragen abzuwarten. »Seine Wunden … sie sind entsetzlich, aber an sich nicht gefährlich. Scheinbar wollten sie, dass er überlebt. Aber die Verbrennungen auf seinem Gesicht … die Brandmale …« Sie hielt inne, ihre Hände umklammerten einen blutgetränkten Verband. »Sie haben sich entzündet.«
»Was heißt das?«, hakte Arian schroff nach.
»Ich weiß nicht, ob – vielleicht übersteht er die Nacht nicht.«
Ich schlang die Arme um mich und wiegte mich hin und her. »Er wird überleben. Ganz sicher. Er verlässt uns nicht einfach so.«
Arian drehte sich wortlos um und trottete ins Lager zurück.
»Geh ihm nach«, sagte Rani. »Für Luca kannst du im Moment sowieso nichts tun.«
Sie tat, als ginge sie ins Zelt zurück, blieb dann aber stehen. Zum ersten Mal, seit ich Livia angegriffen hatte, sah sie mir in die Augen. »Danke, dass du ihn zurückgebracht hast. Dass du nicht aufgegeben hast. Hättest du ihn nicht gefunden, wäre er morgen wahrscheinlich tot gewesen. Nun hat er zumindest eine Chance.«
Ich saß lange auf der Erde, nachdem Rani zurück ins Zelt gegangen war, und versuchte den Schmerz zu leugnen. Versuchte die Gefühle in den dunklen Knoten unter meinen Rippen zurückzudrängen, wie ich es mein ganzes Leben getan hatte. Aber es gelang mir nicht. Ich hatte mich verändert. Es gab in mir keinen leeren, kalten Ort mehr, wo ich Hoffnung und Angst verstauen konnte. Keine Möglichkeit, mich von diesen Gefühlen abzugrenzen oder vor ihnen wegzulaufen, um es einfacher zu machen. Ich musste sie hinnehmen und ich musste es tun, ohne zusammenzubrechen. Ich musste, weil Luca mich brauchte. Er brauchte mich als den Menschen, den er immer in mir gesehen hatte. Tapfer und stark. Stark genug, um dies durchzustehen und auch ihn durchzubringen.
Langsam, ganz langsam gewann ich die Kontrolle zurück.
Ich konnte wieder atmen, konnte mich aus der verkrampften Haltung lösen, in der ich mich in meinem Elend zusammengekauert hatte. Nachdem ich mich unbeholfen erhoben hatte, stand ich einfach eine Weile benommen da. Dann machte ich mich auf die Suche nach Arian, mein Bündel ließ ich auf der Erde liegen. Rani hatte Recht. Luca würde nicht wollen, dass sein Bruder allein war.
Ich fand Arian in Lucas Zelt. Als ich die Zeltplane zurückschlug, sah ich ihn auf meinem Lager sitzen, wo er das Gesicht ins Bettzeug presste. Als er aufblickte, versilberte das
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