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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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bevor der Wolf wieder Besitz von mir ergriff. Vier Jahre, in denen wir auf der Flucht waren, uns um Arbeit bemühten in winzigen Weilern, wo es sich die Bewohner kaum leisten konnten, Ma für ihre Dienste zu bezahlen. In denen wir unter falschem Namen lebten. In denen wir uns ruhig verhielten. Aus allem heraushielten. Und niemals kämpften.
    Viele der Menschen, mit denen wir in dieser Zeit zu tun hatten, hielten mich für schwachsinnig. Ich sprach wenig und sah niemandem in die Augen.
    Und ich »fiel« ständig hin. Ziemlich ungeschickt für ein so starkes, dralles Mädchen.
    Mit gedämpftem Flüstern bezeugten sie Mutter ihr Mitleid. Welch eine Schande, dass die Tochter einer Heilerin so kraftlos war! Keine Heilkunst konnte diese Krankheit lindern. Doch wenigstens war ich ruhig und gehorsam. Wenigstens war ich nicht … gewalttätig.
    Die Eisschicht um das Herz meiner Mutter wurde mit jedem erzwungenen Umzug dicker: Wann immer die Dorfbewohner zutraulich genug wurden, um uns Fragen über unsere Herkunft zu stellen, wann immer meine ungewöhnlichen Augen Neugier erweckten, wann immer jemand vermutete, ich könnte doch keine so ungeschickte Idiotin sein, flüchteten wir wie Verbrecher mitten in der Nacht. Wir wurden Experten darin, unsere weltlichen Besitztümer von einem Moment auf den anderen zu packen und alles zurückzulassen, was wir nicht zwingend brauchten. Ich lebte in der Furcht, Ma könnte mich eines Tages ebenfalls zurücklassen und ich fände mich in einem dieser namenlosen Dörfer wieder, ausrangiert wie ein zerbrochener Stuhl oder eine zerschlissene Decke, für immer allein in der Welt.
    Doch gleichgültig, welche Gefühle sie für mich hegte, gleichgültig, wie heftig sie zusammenzuckte, wenn ich ihr nahe kam, oder wie oft ich sie nachts schluchzen hörte, sie versuchte nie, ohne mich zu flüchten. Sie drohte nicht einmal damit. Sie ließ mich nie frieren oder hungern, wenn sie selbst nicht noch schlimmer fror oder noch hungriger war. Sie schlug mich nie hart genug, um mich zu töten.
    Oder meine Haut zu verletzen.
    Meine arme Ma. Als ich ungefähr zwölf war, hatte sie sich dem Glauben hingegeben, wir wären nun sicher. Der Wolf wäre verschwunden. Vielleicht war sie einfach zu erschöpft, um einen weiteren Winter auf der Flucht zu sein. So oder so, in diesem Jahr beschloss sie, bis zum Frühling in einem kleinen Dorf am Fuße der Berge zu bleiben. Es war eine Entscheidung, die wir beide bereuen würden.
    Ich befreite mich aus dem vertrauten Elend des Traums, in dem sich alle meine Erinnerungen wiederholten, und richtete mich schwer atmend auf. Während ich mich mit schlaftrunkenem Blick umsah, tastete meine Hand nach der beruhigenden Form des Wolfzahns auf meiner Brust.
    Ich war es gewohnt, jedes Mal, wenn ich die Augen öffnete, an einem anderen Ort aufzuwachen – vor allem in letzter Zeit –, doch das hier … das war etwas anderes.
    Ich saß auf einem dicken Stapel Teppiche. Schwarze, graue und weiß gefleckte Felle mit heller Seidenfütterung waren über mich gebreitet. Sie waren so weich wie der Flaum eines Kükens und feiner als alles, was ich in meinem bisherigen Leben gesehen, geschweige denn angefasst hatte. Eine Holztrennwand, verziert mit Emailletafeln, die einen Wald aus goldenen und silbernen Bäumen darstellten, stand um meinen Schlafplatz.
    Wo bin ich, Vater?
    Ich hörte gedämpfte Schritte, die Trennwand wurde beiseitegeschoben und eine große Frau mit wirrem grauem Haar, einer Tätowierung im Gesicht und unangenehm durchdringendem Blick stand vor mir. Die Erinnerung kam mit einem beinahe körperlich spürbaren Schlag zurück.
    Livia.
    »Geht es dir gut?« Ihre Stimme war weniger barsch, als ich sie in Erinnerung hatte, sie klang fast zögerlich. »Du hast … gerufen.«
    »Gerufen?«
    »Nach deiner Mutter.«
    Mein Gesicht wurde heiß. »War nur ein Traum. Es hat nichts zu bedeuten.«
    Da ihr unverhohlen mitleidiger Blick mich nervös machte, spähte ich an ihr vorbei in den Raum. Das Dach aus Zeltplane wurde von Holzpfosten gestützt, an denen gläserne Öllampen baumelten. Die reich bestickten Gobelins an den Wänden zeigten mythische Figuren – fliegende Pferde, Feuer speiende Löwen, dreiköpfige Schlangen –, den verblassten Farben nach zu urteilen waren sie sehr alt. Auf dem Boden lagen Teppiche, die den Wandbehängen an Erlesenheit nicht nachstanden. Ich sah einen niedrigen Tisch, der so lang war wie ich groß und in dessen Beine seltsame Muster geschnitzt waren. Auf der

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