Frostblüte (German Edition)
schütteln, doch er bedeutete mir mit erhobener Hand zu schweigen. »Ich glaube, dass du mit etwas Übung eine großartige Kämpferin werden kannst. Ich kann dir beibringen, wie du diese blinde Wut, die dich überkommt, lenken kannst. Ich kann dir beibringen, wie du gegen deine Angst ankämpfen und sie überwinden kannst. Doch das geht erst, wenn du dein Leben in die Hand nimmst. Du musst dich dafür entscheiden , nicht mehr davonzulaufen. Du musst dich dafür entscheiden , mir zu glauben.« Er lächelte und ich bekam keine Luft. »Ich jedenfalls glaube an dich.«
»Du kennst mich nicht. Du weißt nicht … was ich getan habe.«
»Ich kenne dich noch nicht besonders gut«, verbesserte er mich. »Doch ich habe heute genug gesehen, um dich für eine bemerkenswerte Frau zu halten. Anständig, warmherzig und tapfer. Ich weigere mich zu glauben, dass du etwas wirklich Falsches getan haben sollst. Ich denke nicht, dass du das könntest.«
Ich sah weg und biss die Zähne zusammen. Er hatte keine Ahnung, wie sehr er sich irrte. Und trotzdem bedeutet es mir so viel, jemanden sagen zu hören, dass er an mich glaubte – dass ich gut war. Meine eigene Mutter hätte das nicht von mir behauptet.
Ich hörte Stoffrascheln und das Knarzen von Leder und plötzlich kniete er mit gebeugtem Kopf vor mir. Ich starrte auf die goldbraunen und silberblonden Strähnen in seinem Haar, während seine langen Finger meine beiseiteschoben, die noch auf dem vergessenen Päckchen ruhten. Er knotete eilig die Schnur auf und schob eine Lage Sackleinen zurück.
Mir stockte der Atem, als ich sah, was ordentlich zusammengepackt darunter lag.
Mein Bündel. Meine Jagdmesser. Meine Fallen. Mein Wasserschlauch und Trockenfleisch.
Die Axt meines Vaters.
Alles, was ich auf der Welt besaß. Alles, was ich für immer verloren geglaubt hatte.
Zitternd umfasste ich den kalten Stahl und das glatte Holz des Axtschafts. »Du hast sie gefunden.«
»Ich wollte sie dir zurückgeben. Und dann sind ständig andere Dinge dazwischengekommen«, sagte er. Ich fühlte, wie mir bei dem Gedanken an meine wiederholten Fluchtversuche die Hitze in die Wangen stieg. »Jetzt weißt du, dass es mir ernst ist mit dem, was ich sage. Wenn du willst, kannst du gehen und brauchst mich und die Garde nie wiederzusehen. Ich werde dich nicht aufhalten. Es steht dir frei, Frost.«
Seine Hand umschloss meine zum zweiten Mal und unsere Finger wanden sich umeinander. Es war so natürlich, dass ich nicht weiter darüber nachdachte. Ich sah ihm in die fremden, dunklen Augen.
Nichts rührte sich mehr. Mir stockte der Atem. Der Wind schien sich zu legen, während mich das Sonnenlicht des Spätnachmittags einhüllte und in einem Schleier aus Wärme umfing. Ein Singvogel zwitscherte, das Geräusch vibrierte endlos in der Stille. Das blau-goldene Feuer in Lucas Blick flackerte durch meinen Körper und veränderte alles, was es berührte: jedes Stäubchen und jeden Tropfen Blut. Für immer.
Dann war es vorbei. Seine Hand ließ meine los. Er erhob sich und stand wieder vor mir. Ich sah auf meine kribbelnden, zitternden Finger.
»Du weißt, wo du uns findest«, sagte er. »Ich werde auf dich warten.«
Ich spitzte die Ohren, um zu hören, wie sich seine Schritte entfernten, doch da war nur die Stimme des Windes. Trotzdem wusste ich, dass er weg war.
Ich blieb lange Zeit dort sitzen, allein unter den sich sanft wiegenden Bäumen. Auch in meiner Brust rührte und bewegte sich etwas, öffnete sich unter meinem Brustbein. Es schmerzte, aber es war ein süßer Schmerz. Schmerz bedeutete Leben. Etwas, wofür ich keinen Namen hatte, wurde lebendig in mir. Etwas wie Hoffnung oder Glück oder Glaube – nichts davon oder alles. Wie die Axt meines Vaters hatte ich ein solches Gefühl für immer verloren geglaubt. Und genau wie die Axt meines Vaters war es mir zurückgegeben worden. Von Luca.
Er glaubte nicht an Flüche. Er glaubte, dass ich den Wolf bekämpfen konnte. Er hatte gesehen, wie ich zur Berserkerin geworden war, und hielt mich trotzdem für einen guten Menschen.
In diesem Moment fiel es mir zum ersten Mal wie Schuppen von den Augen, es war so offensichtlich, dass ich ein Lachen unterdrücken musste.
Ich war nicht mehr in Uskaand.
Hier gab es keine Priester von Askaan oder des Anderen. Es gab niemanden, der mein Schicksal verkündete oder befahl Feuer anzuzünden. Keinen, der wusste, was ich getan hatte oder wer ich gewesen war. Niemanden, der auch nur meinen richtigen Namen kannte. In
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