Frostblüte (German Edition)
Mal, dass Livia größer war als ich – mindestens ein paar Zentimeter. In Uskaand war das selbst bei Männern selten gewesen. Die Sedrier schienen ein langbeiniges Volk zu sein.
»Ich soll dafür sorgen, dass du mit einer Uniform und allem anderen ausstaffiert wirst, was du heute brauchst, aber ich glaube, am besten wäschst du dich erst mal.« Sie legte noch einige saubere Kleidungsstücke auf den Stapel in meinen Armen. »Die gehören mir, sie sind nur für den Übergang.«
»Rieche ich so schlecht?«, fragte ich beschämt.
»Du stinkst nicht, aber ich kann riechen, dass du eine Weile auf dem Waldboden geschlafen hast. Wir haben leider kein Badehaus. Ich bringe dich zum Fluss.«
»Ich bin noch nie in einem Badehaus gewesen«, gestand ich. »Zu Hause hatten wir heiße Quellen.«
»Ah, das ist natürlich angenehm. Wenn ich noch einen einzigen neuen Rekruten darüber lamentieren höre, dass es kein heißes Wasser gibt, schlag ich ihm den Schädel ein. Ich weiß nicht, warum sie sich melden, wenn sie auf Luxus aus sind.«
»Bin ich das?«, fragte ich zögernd. »Eine neue Rekrutin?«
Als sie nachdenklich die Stirn runzelte, schien der Hase in Livias Tätowierung einen Sprung zu machen. »Sieht so aus. Ich denke, du könntest hierher passen. Und an Mumm fehlt es dir ganz bestimmt nicht. Außerdem hat Luca sich noch nie in jemandem getäuscht.«
Während ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen ließ, warf sie die Zeltplane zurück. Ich folgte ihr ins warme Morgensonnenlicht und in das geschäftige Treiben.
Bei Tageslicht war das Lager der Berggarde ein anderer Ort. Ich verdrehte mir den Hals, als ich versuchte alles aufzunehmen, was um mich herum geschah. Ich ging mit Livia quer durch das Lager, an einem kreisrunden Platz vorbei, wo ungefähr dreißig Männer und Frauen eine bestimmte Kampfabfolge übten, sie hoben und senkten die Schwerter in perfektem Gleichklang. Ganz in der Nähe trug ein Paar – ein Mann und eine Frau – einen waffenlosen Übungskampf aus, ihre Bewegungen bestanden aus kaum wahrzunehmenden Tritten und Fausthieben. Andere saßen friedlich da, polierten ihre Rüstung, reparierten Zaumzeug, schärften Waffen. Ich sah einen Mann, der Wäsche auf eine Leine hängte, die zwischen den Zelten gespannt war. Anderswo saß eine Frau mit einem Tuch um die Schultern auf der Erde, während eine Kameradin ihr vorsichtig die Haare schnitt.
Es fühlte sich weniger wie ein Lager, sondern mehr wie eine kleine Stadt an. Die Zelte waren unterschiedlich groß – manche konnten problemlos zwei Dutzend Männer beherbergen, während andere eindeutig nur für ein oder zwei Personen gedacht waren. Als wir an der Feuerstelle auf der Rückseite des Lagers vorbeikamen, entdeckte ich Holzbaracken – die Gefängniszellen, in denen ich eingesperrt gewesen war. Wo nun möglicherweise Birkin festgehalten wurde.
Hoffentlich hatten sie ihn nicht in meine Zelle gesperrt. Auch wenn Birkin nicht durch den Spalt passen würde, den ich gegraben hatte.
Die Vielfalt der Haut- und Haarfarben unter den Bewohnern des Zeltlagers war verblüffend. Zu Hause hatte fast jeder die gleiche kupferbraune Haut und das gleiche dunkle Haar gehabt wie ich; dieselben breiten, ausgeprägten Wangenknochen und flachen Nasen. In Süd-Uskaand, wo ich aufgewachsen war, hatte schon die leichte Andersartigkeit meiner grauen Augen genügt, mich als Außenseiterin abzustempeln, was fast so schlimm war, wie eine Ausländerin zu sein. Dabei wusste ich, dass im Norden sowohl graue als auch blaue Augen als normal galten.
Unter den Bergwächtern glich kaum einer dem anderen. Ich sah einen Mann, der in Uskaand Getuschel und neugierige Blicke hervorgerufen hätte mit seinem runden Gesicht und der Knopfnase und der Haut, die so hell war, dass sie eindeutig ungesund aussah, vor allem im Vergleich zu seinen knallroten Haaren. Der Mann unterhielt sich mit einer Frau, die Haut von einem dunklen Blauschwarz hatte und Haare, die ihr wie dunkle Distelwolle um den Kopf standen. Ihre Nase war flach wie meine – allerdings waren ihre Wangenknochen und das Kinn spitz und markant.
Und es gab so viele Frauen ! Ich war davon ausgegangen, dass der Großteil der Soldaten Männer waren, so wie in der Armee zu Hause, vielleicht mit einer Köchin oder Heilerin wie Livia als Ausnahme. Doch hier schien die Hälfte der Soldaten Frauen zu sein, und während ich mich einerseits freute, nicht die einzige Rekrutin zu sein, war es seltsam, alle Bewohner des Lagers ungeachtet ihres
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