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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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wenn er seinen Priestern im Traum erscheint.«
    »Du hältst also deinen Wolf für ein Erscheinungsbild eines Gottes? Des Gottes des Anderen?«
    »Es klingt lächerlich, wenn du es so sagst. Ich weiß es nicht. Vielleicht ein Dämon des Anderen? Ich glaube, so haben es die Priester genannt. Aber sie haben es auch als Fluch bezeichnet. Ich konnte ihnen keine Fragen stellen.«
    »Ich habe dir ja schon erklärt, dass ich nicht an Flüche glaube. Und an Dämonen schon gar nicht. Ich werde dir erklären, was ich denke. Es hat schon immer Menschen gegeben, die im Kampf in Raserei verfallen. In der Geschichte werden sie als ›Berserker‹ bezeichnet. Im Buch Rodica gibt es einen berühmten Helden namens Sedrun. Als er ein Kind war, wurde seine Familie vor seinen Augen getötet. Danach wurde er von einer anderen Familie adoptiert und schien vollkommen normal – bis zu einer Schlacht, die er mit dreizehn oder vierzehn erlebte.
    Als er sah, wie ein Mitglied seiner neuen Familie starb, überkam ihn seine erste Berserkerwut. Es wird erzählt, dass sein Gesicht auf die doppelte Größe anschwoll und rot glühte und dass ihm die Haare wie Stacheln um den Kopf standen. Er schlachtete die feindlichen Soldaten regelrecht ab. Mehr noch, er schlachtete jeden im feindlichen Lager ab, selbst den Tross und die verwundeten oder unbewaffneten Männer. Er tötete ihre Tiere und setzte ihre Zelte in Brand. Seine eigene Familie wagte erst, sich ihm zu nähern, als der Anfall vorbei war. Was sagt dir das alles?«
    »Dass er ein Ungeheuer war«, flüsterte ich entsetzt.
    »Nein«, antwortete Luca nachdrücklich. »Es sagt dir, dass Sedrun, als er auch seine neue Familie sterben sah, eine so unglaubliche Angst verspürte, dass sie ihn verwandelte. Besitz von ihm ergriff. Er vernichtete jeden, der eine Bedrohung für die darstellen konnte, die er liebte. Sobald er das geschafft hatte, war er wieder er selbst.«
    »Das macht es noch lange nicht akzeptabel«, protestierte ich. »Wie konnte er sich selbst ertragen? Er hat so schreckliche Dinge getan!«
    »Sedruns Familie sah in ihm einen Helden. Sie waren kurz davor gewesen, die Schlacht zu verlieren, und er hatte sie gerettet. Nach seinem Anfall wagten nur noch sehr wenige, die Familie anzugreifen. Darum geht es jedoch nicht. Was ich sagen will, ist, dass seine Berserkerwut etwas mit Angst und Selbsterhaltungsinstinkt zu tun hatte. Und ich glaube, bei dir ist das ähnlich. Du sagst, dass der Wolf von dir Besitz ergreift, wenn er dein Blut sieht. Bei dir ist der Anblick deines Blutes der Auslöser, der deine Angst übermächtig werden lässt. Wir müssen dir beibringen, deine Angst anzunehmen und zu kontrollieren. Sobald dir das gelingt, wirst du auch den Wolf annehmen und kontrollieren können.«
    »Aber … aber das will ich nicht. Ich will den Wolf nicht annehmen. Er ist schrecklich, er ist böse. Ich will ihn loswerden.«
    »Ich weiß nicht, ob das möglich ist«, sagte Luca sanft. »Der Wolf ist ein Teil von dir.«
    Meine Finger zupften an dem kratzigen Gras unter meinen Beinen. »Ist er nicht. Er ist kein Teil von mir. So bin ich nicht.«
    »Hör zu, vielleicht gibt es andere, die mehr für dich tun können, die … den Fluch aufheben können oder wie immer du es nennen willst. Du brauchst die Hoffnung nicht aufzugeben. Doch fürs Erste kann ich dir helfen, deine Berserkerwut in den Griff zu bekommen. Das ist doch besser als nichts, oder?«
    Ich starrte auf die abgerissenen Grasbüschel. Er bot mir mehr Hilfe und Verständnis an als jeder andere zuvor. Ich musste ihm glauben. »Natürlich. Es tut mir leid, ich wollte nicht undankbar erscheinen.«
    Er verzog angewidert das Gesicht. »Ich will keine Dankbarkeit! Ich will bloß, dass du mir zuhörst und es versuchst. Kannst du das bitte tun?«
    »Ich kann es versuchen.«
    »Gut. Vielleicht verstehst du die Bedeutung dessen, wovon ich spreche, jetzt noch nicht«, sagte er geduldig, »aber es ist wichtig. Ich möchte, dass du die Augen schließt. Stell dir in Gedanken eine Kugel vor – die Kugel Raum, die dich umgibt. Fühl sie. Sie gehört dir. Alles darin gehört dir, jedes Staubkorn, jedes bisschen Luft.«
    Eine Kugel, die mich umschloss? Wie eine Hülle aus Licht? Sie würde … leuchten. In einem strahlenden, silbrigen Blau, wie Sternenlicht auf Schnee. Kalt. Ich schauderte. Ich hörte Krächzen und Flattern – über mir kämpften Vögel. Mein Gehirn griff das Geräusch auf, dankbar für die Ablenkung.
    Ich holte noch einmal tief Luft und

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