Frostblüte (German Edition)
wieder nach unten drückte. »Hör auf, dich zu wehren, oder –«
Er wurde plötzlich ganz starr. Dann hob sich seine Brust. Ich machte hastig Platz, als er sich auf die Seite rollte und zu würgen begann. Was herauskam, schienen mehrere Liter Flusswasser zu sein, danach ließ er sich mit einem leisen Aufstöhnen zurücksinken.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, schalt ich leise und strich ihm wie einem Kind das verschwitzte Haar aus der Stirn. Ich warf einige Handvoll Sand auf das Erbrochene und wusch mir die Hände im Fluss. »Der Schlag, den du auf den Kopf bekommen hast, hat gereicht, um dich für Stunden außer Gefecht zu setzen. Wahrscheinlich wirst du eine Weile brauchen, bis du wieder auf den Beinen bist.«
»Was ist passiert? Wo sind wir?«
»Erinnerst du dich an gar nichts mehr?«
Er machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand, dann bedeckte er sein Gesicht. »Ich erinnere mich … an einen Hinterhalt. Pfeile. Razia?«
Ich zögerte einen Augenblick. »Es tut mir leid. Sie war schon tot, als du ins Wasser gestürzt bist.«
»Ich bin ins – ich bin was?« Er nahm die Hand vom Gesicht.
»Ein Aufrührer hat dich mit seiner Keule niedergeschlagen. Du bist die Felswand hinunter in den Fluss gestürzt.«
»Warum bin ich dann nicht tot?«
»Luca und ich haben dich fallen sehen. Er hat mir zugerufen, dass du nicht schwimmen kannst, und mir befohlen, dich zu retten. Also bin ich gesprungen.«
»Er hat dir befohlen, eine Felswand hinunter in den Fluss zu springen?«
Ich rutschte verlegen hin und her. »Vermutlich dachte er, ich würde hinunterklettern und versuchen dich herauszuziehen. Aber ich sah dich nirgends und hatte Angst, ich könnte zu spät kommen.«
Wieder legte er die Hand vors Gesicht. »Eigentlich sollten wir beide tot sein.«
»Tja, sind wir aber nicht. Sag ›Danke, Frost‹.«
»Danke, Frost.« Seine Stimme klang eher grimmig als dankbar. »Jetzt hilf mir auf.«
»Ich denke nicht –«
»Stimmt, tust du nicht, aber ich lasse es dir dieses eine Mal durchgehen. Wenn ich hier liege, geht es mir noch schlechter. Hilf mir auf.«
Eine Sekunde lang war ich versucht, die Arme zu verschränken und ihm dabei zuzusehen, wie er sich abmühte. Doch mit Sicherheit würde er es so lange probieren, bis er sich verletzte, und das würde schließlich keinem von uns beiden weiterhelfen. Ich kniete mich hin und schob den Arm unter seinen Rücken, dabei spürte ich die Narbenwülste gegen meine Haut drücken. Meinen anderen Arm hielt ich über ihn. »Halt dich an meinem Arm fest.«
Er gehorchte. Mit einer Anstrengung, die meine Bauchmuskeln zusammenkrampfen ließ, gelang es mir, ihn aufzurichten. Nach einigem Drücken und Schieben saß er schließlich so, dass er sich gegen die Wand der Höhle lehnen konnte. Er stieß ein Zischen aus, als sein bloßer Rücken die moosige Erde berührte. Ich hob sein dünnes Unterhemd auf, das mittlerweile fast trocken war, und legte es hinter ihn.
»Zieh dir auch was an«, sagte er schroff. Die Art, wie er den Kopf schräg hielt, ließ darauf schließen, dass er den Blick abgewandt hatte. »Du wirst dir sonst den Tod holen.«
»Mir geht’s gut«, sagte ich. Doch bei seinen Worten wurde mir bewusst, wie wenig ich anhatte. Ich zog mein Hemd über die Brustbinde.
»Kannst du mir sagen, wo wir sind?«, fragte er.
»Nicht genau. Der Fluss hat uns ein ganzes Stück abwärts gespült, dann wurde das Flussbett plötzlich breiter und wir trieben eine Weile, bis die Felswände verschwanden.«
»Dann sind wir vielleicht gar nicht mehr auf dem Mesgao«, sagte er. »Vielleicht wurden wir in einen Nebenarm gezogen. Wenn es hell ist, klettere ich hoch und schaue, ob ich irgendwas erkennen kann, das uns bei der Bestimmung unseres Standorts hilft.«
»Du solltest so bald nirgendwohin klettern. Du bleibst hier und ich gehe raus –«
»Wofür soll das gut sein? Du hast doch schon gesagt, dass du keinen blassen Schimmer hast, wo wir sind.«
»Ich meinte nicht zum Auskundschaften«, fuhr ich ihn an. »Ich wollte Feuerholz sammeln und nach etwas Essbarem suchen. Du kannst dich ja nicht mal rühren, ohne dich zu erbrechen. Was glaubst du, wer dich wohl hierher zurückschleppen muss, wenn du ohnmächtig wirst und ins Wasser fällst? Benutz deinen Verstand!«
Zu meiner Überraschung lachte er, statt mich herunterzuputzen. Seine tiefe, raue Stimme hallte in der Höhle und ich setzte mich geschockt zurück. Ich hatte ihn noch nie zuvor so lachen gehört. Ich konnte mich nicht
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