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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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Zimmer. Die beiden Polizisten verabschiedeten sich, während ich noch unschlüssig im Flur stand. Hier bei Mechats zu Hause hatte ich das Gefühl, Julia ein wenig nahe zu sein.
    »Theresa, du kannst ruhig noch bleiben«, sagte Frau Mechat, als hätte sie meine Gedanken erraten.
    Wie gern wäre ich ihrer Einladung gefolgt, doch ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann nicht. Ich muss nach Hause, ins Bett. Aber danke. Sie rufen mich doch an, wenn Sie etwas Neues erfahren?«
    »Natürlich. Du bist die Erste.«
    25. Januar 2012
    Heute war der furchtbarste Tag meines Lebens. Die Meinhard, unsere Kunstlehrerin, hat mich in der Mittagspause abgepasst und mich gefragt, wann mein Videoprojekt endlich fertig wird. Bis zum Ende des Halbjahrs dauert es nicht mehr lange und wenn ich es nicht abschließe, kann sie mir bedauerlicherweise keine bessere Note als ein Befriedigend geben. Pah! Ich und Befriedigend. In Kunst!
    Also beschloss ich, nach der Schule diese blöden Aufnahmen zu machen. Schnee, Natur, Bäume. Wenn ich geahnt hätte, was mich erwartet, hätte ich liebend gern die Drei genommen. Ich gehe also mit dem Camcorder aufs Feld und filme. Auf den Weg achte ich gar nicht, sehe nur durchs Objektiv die schneebedeckten Äste und denke mir noch, dass die Meinhard begeistert sein wird und mir die Zwei nun sicher ist. Da stolpere ich über etwas. Die Kamera fliegt mir aus der Hand und wird sofort vom Schnee verschluckt. Ich taste nach ihr. Meine Finger spüren etwas Hartes, also greife ich danach. Doch es ist nicht der Camcorder, den ich aus dem Schnee ziehe. Es ist eine Hand. Fast so bleich wie der Schnee, von dem sie bedeckt war.
    Ich weiß nicht, ob ich geschrien habe. Selbst jetzt noch, Stunden später, kann ich mich nur daran erinnern, dass ich anfing zu buddeln. Mein einziger Gedanke war, da liegt jemand, der Hilfe braucht. Ich habe auch keine Ahnung, wie lange es gedauert hat, den Körper zu befreien. Ich weiß nur, dass mir der Schweiß über den Rücken lief, obwohl es Minusgrade hatte.
    Es war Melissa, ein Mädchen, kaum älter als ich. Ihr Gesicht sah aus wie das einer Porzellanpuppe. So eine, wie meine Oma sie sammelt. Ich erkannte auf einen Blick, dass hier jede Hilfe zu spät kam. Dennoch lief ich. Ich lief, so schnell ich konnte. Nur weg! Plötzlich donnerte ich in Leon rein und schmiss ihn fast um. Ich habe, glaube ich, keinen gescheiten Satz herausgebracht, als er mich fragte, was los sei. Doch irgendwann kapierte er. Ich bin so froh, dass ich ausgerechnet ihn getroffen habe. Er rief die Polizei, wartete mit mir in der Schweinekälte, beruhigte mich, und als die Beamten da waren, führte er sie mit mir zum Fundort. Er war es auch, der meine Mutter verständigte. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sie endlich da war.
    Mama brachte mich nach Hause und rief Papa an. »Er kümmert sich um alles Weitere«, sagte sie zu mir, während mir die Zähne klapperten. »Du nimmst jetzt erst mal ein Bad.« Ihr Patentrezept für alle Probleme: eine Badewanne voll heißes Wasser und Tee.
    Eben saß ich in der Wanne, meine Haut ist noch ganz gerötet, doch in meinem Inneren fühle ich mich immer noch kalt.
    Ständig sehe ich Melissa vor mir. Etwas stört mich an dem Bild, doch ich bekomme es nicht zu fassen. Kein Wunder, man findet schließlich nicht jeden Tag eine Leiche. Und ehrlich gesagt reicht es mir für den Rest meines Lebens. Jedenfalls habe ich beschlossen, alles aufzuschreiben, denn ich habe das Gefühl, ich übersehe etwas Wichtiges. Etwas, das mir keine Ruhe lässt, und bis ich herausgefunden habe, was es ist, werde ich ständig an die tote Melissa denken.

Kapitel 5
    Ich hätte mich nicht beeilen müssen, denn daheim wartete niemand auf mich. Leise öffnete ich die Tür zu Mutters Schlafzimmer. Ihr Bett war zerwühlt und selbst durch meine Schnupfennase nahm ich den abgestandenen Geruch wahr. Ich konnte nicht anders, als hineinzugehen und das Fenster zu kippen.
    Corinna hatte mir einen Zettel an meine Tür geklebt: »Bin bei Lena.« Wenigstens hatte sie Bescheid gegeben. Wahrscheinlich wirkte noch unser gemeinsames Frühstück nach – oder ihr schlechtes Gewissen wegen des Milchgesichts, mit dem sie auf dem Sofa herumgemacht hatte.
    Keine Ahnung, welches Zeug mir Dr. Mechat vorhin gegeben hatte, aber mir ging es deutlich besser. Trotzdem legte ich mich auf die Couch, deckte mich zu und schaltete den Fernseher ein. Ich zappte durch die Programme, blieb bei einem Beitrag über Chile hängen. Dort würde es

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