Frostengel
mir gefallen. Da wäre es wenigstens schön warm. Irgendwann wurden meine Lider schwer und ich gab auf, sie offen halten zu wollen. Mit dem Bild vom Salto Del Laja in meinem Kopf schlief ich ein und wurde erst vom Zuschlagen der Wohnungstür wieder geweckt.
Meine Armbanduhr zeigte zehn Uhr. Corinna, dachte ich. Gnade ihr Gott, wenn sie erst jetzt heimgekommen war. Doch wenig später hörte ich meine Mutter rufen: »Scheiße, mein Zimmer ist eine Tiefkühltruhe. Wer hat das Fenster aufgemacht?«
Mit einem kleinen Lächeln auf meinen Lippen stand ich so leise wie möglich auf und schlich in mein Zimmer. Geschah ihr ganz recht. Bekanntlich hält Kälte ja frisch. Ein wenig Frische konnte ihr bestimmt nicht schaden.
Die paar Stunden Schlaf auf dem Sofa hatten mir gutgetan. Ich fühlte mich fast wieder gesund. Aber wahrscheinlich wäre es trotzdem besser, noch einen Tag länger zu Hause zu bleiben. Ich hätte Zeit, mich zu erholen – oder mich weiter auf die Suche nach Julia zu machen. Corinna hatte morgen bis fünf Schule und von meiner Mutter konnte man halten, was man wollte, aber sosehr sie sich in ihrer Freizeit auch gehen ließ, was ihre Arbeit anging, war sie gewissenhaft. Sie würde also morgen in der Früh um sieben die Wohnung verlassen. Sie arbeitete als Verkäuferin in einer Blumenhandlung. Früher hatte sie mir einmal erzählt, sie liebe es, von Blumen umgeben zu sein. »Irgendwann«, hatte sie gesagt, »irgendwann, mein Spätzchen, werden wir uns ein Haus mit Garten kaufen. Und da werden die schönsten und prächtigsten Blumen in ganz Kleinhardstetten wachsen.«
Spätzchen nannte sie mich schon lange nicht mehr. Und von einem Haus mit Garten träumte sie vergeblich, wenn überhaupt.
Corinna fiel mir ein. Sie hätte schon vor einer Stunde zu Hause sein müssen. Ich lauschte durch die dünne Wand. Normalerweise lief bei ihr die ganze Zeit Musik. Ohne konnte sie nicht mal einschlafen, doch nicht der kleinste Ton drang jetzt an mein Ohr. Sie war noch gar nicht heimgekommen. Verärgert suchte ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy. Verdammt – die konnte sich was anhören! Wo war das blöde Ding? Da erinnerte ich mich, dass ich es auf den Wohnzimmertisch gelegt hatte, bevor ich eingeschlafen war.
Nebenan saß meine Mutter vor dem Fernseher.
»Ich hole nur mein Handy«, sagte ich.
Sie deutete mit dem Kopf auf den Tisch. »Willst du dich nicht zu mir setzen? Es läuft grad CSI«, fragte sie und klopfte neben sich auf das Polster, ohne den Blick vom Fernseher zu lösen.
Ihre Sprache war klar. Gut. Sie hatte nicht getrunken. Einen Augenblick lang war ich versucht, mich neben sie zu setzen. Wie gern hätte ich ihr von der Angst um meine beste Freundin erzählt. Meine Mutter kannte Julia. Früher war sie häufig bei uns gewesen. Mutter hatte uns ins Schwimmbad mitgenommen oder war mit uns ins Kino oder in den Zoo gefahren. Es kam mir vor, als wäre seither eine Ewigkeit vergangen.
»Corinna ist nicht da«, sagte ich.
»Ja, ich weiß. Sie hat mir eine SMS geschrieben. Sie schläft bei einer Freundin.«
Immer noch starrte sie auf den Bildschirm, gebannt von dem Krimi, der dort lief. Ich schnappte mein Handy und ging wieder in mein Zimmer. Mir hatte Corinna keine Nachricht geschickt. Auch sonst hatte ich keine weiteren Mitteilungen bekommen – aber vermutlich waren im Fall von Julias Verschwinden keine Neuigkeiten vielleicht die bessere Nachricht.
Punkt sieben in der Früh wurde ich munter, als meine Mutter die Wohnung verließ. Sollte ich aufstehen? Ich lauschte auf die Stille und beschloss, noch ein wenig länger im Bett zu bleiben. Es kam selten vor, dass ich an einem Wochentag um diese Uhrzeit alleine zu Hause war. Nur eine halbe Stunde wollte ich mir gönnen. Ich schloss die Augen und irgendwie musste ich wieder eingeschlafen sein, denn das Klingeln meines Handys drang erst nach und nach in mein Bewusstsein.
Hör doch auf, du blödes Ding!, dachte ich und drehte mich auf die andere Seite. Tatsächlich. Der Klingelton erstarb und ich seufzte auf. Da läutete es erneut. Herrgott, warum konnte ich nicht mal ausschlafen, wenn ich krank war? Ich setzte mich auf. In dem Moment fiel mir Julia ein und ich war schlagartig wach.
Ich griff so hastig nach dem Telefon, dass ich die Lampe neben meinem Bett runterrakte. Gerade noch so konnte ich sie auffangen. Mit der zweiten Hand griff ich nach meinem Handy.
»Theresa?« Herrn Mechats Stimme drang an mein Ohr.
Sein Tonfall ließ alle Härchen auf meinen
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