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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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verstand ich nichts. »Ja und? Warum die Heimlichkeiten?« Ich begriff nicht, warum er sich für ein paar Fotos von der Beerdigung hinter einem Grabstein versteckte, es sei denn … Moment! Es ging ihm gar nicht um die Beerdigung.
    »Es ist nicht das erste Mal, dass du mich beobachtest, nicht wahr?«
    Leon und meine Mutter sahen mich an. Dann stemmte meine Mutter die Arme auf die Hüften und trat einen Schritt auf Klaus zu. »Wie bitte? Du hast meine Tochter verfolgt? Wie lange geht das schon?«
    Klaus seufzte, meine Mutter ignorierend. »Ich dachte, du würdest es nicht merken. Angefangen hat es nach dem Selbstmord dieses Mädchens.«
    »Melissa. Sie hieß Melissa«, presste ich hervor.
    »Wie auch immer, mein Chefredakteur meinte, er will ein paar Fotos von Julia Mechat, die die Leiche gefunden hatte. Schließlich sind ihre Eltern fast wie Prominente in Kleinhardstetten. Doch weder sie noch ihre Eltern waren damit einverstanden, also hab ich heimlich ein paar Fotos gemacht.«
    Eine brennende Wut stieg in mir hoch. Am liebsten hätte ich ihm meine Faust in den Magen gerammt oder diese blöde Kamera auf den Boden geschmettert. Er hatte Julia in Panik versetzt, hatte ihr so viel Angst gemacht, dass sie sich kaum mehr traute, allein unterwegs zu sein. Wer weiß, vielleicht war sie vor ihm geflohen und kam deshalb so weit abseits von ihrem Heimweg bis zur Brücke. Das erschien mir sogar sehr plausibel. Wenn es sich so abgespielt hatte, dann war Klaus derjenige, der Schuld an Julias Tod hatte!
    Eine rote Wolke schob sich vor meine Augen. Das Nächste, was ich wahrnahm, war Leon, der mich von Klaus wegzerrte, und meine Mutter, die einen Schrei ausstieß.
    Mein Atem ging schwer. »Du Mistkerl! Schwein! Du hast Julias Tod zu verantworten!« Der Arsch hatte sich unser Vertrauen erschlichen, nur damit er ein paar Fotos bekam? Enttäuschung schmeckt bitter. Mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, dass ich mich von ihm hatte einwickeln lassen.
    Es war mir egal, dass mittlerweile einige der Trauergäste zu uns herübergekommen waren. Ich riss mich aus Leons Umklammerung los. Tränen schossen in meine Augen. Voller Genugtuung nahm ich die Kratzer auf Klaus’ Wangen wahr. Er hatte es nicht anders verdient.
    Ich drehte mich um und lief los. Noch vor dem Friedhofstor hatte mich Leon eingeholt. Er ging stumm neben mir her, die Hände in seine Jackentasche versenkt. Er musste weit ausholen, um mit mir Schritt zu halten.
    Erst als ich ein bisschen langsamer wurde, weil meine Lungen brannten, hatte er mich erreicht. »Theresa, bleib stehen. Bitte.«
    Ich dachte nicht daran. Aber ich drosselte mein Tempo ein wenig. Er legte seinen Arm um mich. Das reichte, um meine Fassung vollends zu verlieren. Tränen rollten über meine Wangen, ich schluchzte und konnte gar nicht mehr aufhören. Leon hielt mich fest und strich über mein Haar und meinen Rücken. Ich weiß nicht, wie lange wir so gestanden hatten, bis ich endlich ruhiger wurde und meine Tränen versiegten. »Ich weiß, es ist schwer«, murmelte er in mein Haar. »Aber es wird besser, das verspreche ich dir.«
    »Wann?«
    »Es braucht Zeit«, war seine Antwort. Im Gegensatz zu mir hatte er nicht einmal die Gelegenheit bekommen, sich von seinem Bruder zu verabschieden.
    »Glaubst du, die Leute sind schon weg?«, fragte ich und zog die Nase hoch.
    Leon kramte in seinem Mantel nach einem Taschentuch. Ich lächelte ihn schief an. »Ich sollte mir endlich angewöhnen, selber Taschentücher einzustecken. Jedes Mal musst du mir aushelfen.«
    Er lächelte zurück. »Ich glaube, wir können wieder zurück. Egal, ob noch wer da ist oder nicht.«
    Als wir den Friedhof wieder betraten, standen die Menschen in kleinen Grüppchen zusammen. Wenn jemand Notiz von mir nahm, ließen sie es sich nicht anmerken. Nur meine Mutter kam auf mich zu, als sie mich entdeckte. Sie hielt zwei Rosen in der Hand. Ich nahm an, sie hatte meine aufgehoben. Die zweite gehörte wahrscheinlich Leon, der ihr seine in die Hand gedrückt hatte, bevor er mir nachgegangen war. »Es tut mir so leid«, sagte sie leise.
    »Du kannst doch nichts dafür«, sagte ich. Oder doch? Immerhin hatte sie Klaus mit in die Familie gebracht.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fuhr sie fort: »Ich wusste nicht, woran er arbeitet. Er hat mir nur gesagt, er fotografiere für die Zeitung.« Sie raufte ihre Haare. »Wie konnte ich nur so blöd sein, war doch alles zu schön, um wahr zu sein! … Es tut mir leid, meine Kleine. Es tut mir so

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