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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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leid.«
    Ich trat einen Schritt auf sie zu und drückte meine Mutter fest an mich. Sie schluchzte laut auf. Wenigstens in diesem kurzen Moment konnten wir füreinander da sein. Denn ich war mir sicher, sie würde ihren Kummer wie immer ertränken. Die gute Phase war vorbei. Und diesmal hatte sie verdammt kurz angehalten.
    Endlich stand auch ich vor Julias Grab. Ich warf meine Rose zu den anderen Blumen. Das alles war nicht sie, dachte ich. Ein Loch in der Erde, ein Sarg, der, so schön er auch gearbeitet war, letztendlich doch nur eine Holzkiste war. Ein Haufen Blumen, die schon morgen verwelkt sein würden. Ich spürte, wie sich Leons Arm um meine Schultern legte. »Komm«, flüsterte er.
    Alles, was ich wollte, war, jetzt in Ruhe gelassen werden. »Lass mich bitte eine Weile allein«, wisperte ich.
    Leon nickte. »Wir sehen uns später, vielleicht in der Schule.«
    Schule? Keine Ahnung, ob ich heute überhaupt noch hingehen würde. Im Moment war alles andere weit weg von mir.
    »Theresa?« Meine Mutter stand jetzt unmittelbar neben mir. »Ich fahre jetzt nach Hause.«
    In ihrer Stimme hörte ich, dass sie hoffte, ich würde sie begleiten. Aber ich hatte keine Lust, mir den Rest des Tages ihre Entschuldigungen wegen Klaus anzuhören. Meine Kraft war aufgebraucht.
    Wie lange ich vor Julias Grab stand, wusste ich nicht. Irgendwann merkte ich, dass es ruhig am Friedhof wurde. Die Gäste waren gegangen. Alle, bis auf Herrn und Frau Mechat, die noch mit dem Priester etwas zu bereden hatten.
    Der Zeitpunkt war falsch, aber gäbe es überhaupt je einen richtigen? Also konnte ich es genauso gut jetzt hinter mich bringen und Herrn Mechat von Julias Tagebuch und ihrem Verdacht erzählen. Jemand hatte Julia zur Brücke gebracht und es war total unlogisch, dass es sich dabei um Julias eigenen Vater gehandelt hatte. Blieb nur noch Klaus. Julia hatte das Gefühl gehabt, verfolgt zu werden, so viel konnte ich den Tagebuchaufzeichnungen entnehmen. Klaus hatte ja zugegeben, sie seit ihrem Leichenfund beobachtet zu haben. Wahrscheinlich war es auch er bei der Bushaltestelle und später bei der Brücke gewesen, der mir auf den Fersen gewesen war. Er hatte mir eine Heidenangst eingejagt. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher schien es mir, dass Klaus tatsächlich Schuld an Julias Tod hatte. In der Nacht, als Julia starb, war meine Mutter spät nach Hause gekommen und ich hätte wetten können, dass sie mit ihm zusammen gewesen war. Ich war krank gewesen und alles, woran ich mich erinnern konnte, war schwammig. Ich würde also meine Mutter fragen müssen, ob sie und Klaus gemeinsam unterwegs gewesen waren und ob sie noch wusste, um welche Uhrzeit sie heimgekommen war. Allerdings stand die Chance schlecht, von ihr über diesen Abend etwas zu erfahren. Auch wenn ich fiebrig gewesen war, wusste ich eines noch sehr gut: Meine Mutter war ziemlich betrunken gewesen.
    »Theresa!«, wurde ich aus meinen Überlegungen gerissen. Ich hatte gedacht, alle seien schon gegangen, doch Frau Mechat stand neben mir und schenkte mir ein zaghaftes Lächeln. Einmal mehr bewunderte ich sie für ihre Stärke und die Wärme, die sie trotz des Todes ihrer Tochter anderen geben konnte.
    »Wir haben ein Buffet arrangiert. Du kommst doch auch?«
    Ich dachte an jede Menge Leute, die dort herumstehen und sich der Situation total unangemessen mit Essen vollstopfen würden. Darauf konnte ich gut verzichten. Wahrscheinlich wären ohnehin nur die engsten Freunde und Familienmitglieder da. Ich würde nur stören.
    Als hätte sie meine Gedanken erraten, meinte sie: »Wenn jemand dabei sein sollte, dann du. Du warst ihre beste Freundin.« Herr Mechat nickte. »Natürlich kommt sie mit, nicht wahr, Theresa?«
    Ich seufzte. Vor so viel geballter Überzeugungskraft konnte ich nur resignieren. »Also gut.«
    Sie verabschiedeten sich von dem Geistlichen, nahmen mich in die Mitte und wir gingen gemeinsam zum Auto. Vielleicht würde sich die Gelegenheit ergeben, mit Herrn Mechat ungestört zu reden.
    Die Einfahrt der Mechats war zugeparkt, als wir ankamen. »Dürfen die denn einfach so rein?«, fragte ich. Ich hatte immer gedacht, die Gastgeber müssten ihre Gäste erwarten.
    »Meine Mutter und Frau Valis haben die Leute in Empfang genommen«, sagte Frau Mechat. Frau Valis war ihre Nachbarin. Sie war so etwas wie ein Großmutterersatz gewesen, da Julias eine Oma zu weit weg wohnte und die andere, Herrn Mechats Mutter, bereits gestorben war, bevor Julia

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