Frostengel
wir nur noch den Rest.«
Ich sprang auf, weil ich das Gefühl hatte, nicht ruhig sitzen zu können. »Es ist zum Haareraufen«, sagte ich und ließ mich frustriert wieder auf das Sofa neben Leon plumpsen. Er nahm mich in den Arm und küsste mich. »Ich verspreche dir, wir finden heraus, wer der Kerl ist. Keine Ahnung, wie. Aber uns fällt bestimmt was ein.«
Nur allzu gern wollte ich ihm glauben. »Danke«, flüsterte ich an sein Ohr.
»Für den Kuss?«
»Ja, für den auch. Eigentlich dafür, dass du einfach da bist. Und dafür, dass du mich nicht für durchgeknallt hältst, weil ich denke, dass Julia nicht einfach Opfer eines Unfalls wurde.«
Leon grinste mich an. »Na, ein wenig durchgeknallt bist du schon.«
Ich stieß ihn mit meinem Ellenbogen sanft in die Rippen. »He!«
»Wie kannst du nur sagen, ich wäre durchgeknallt?!«
»Ich meinte natürlich liebenswert-durchgeknallt. Ich soll dich übrigens fragen, ob du vielleicht bei der Abizeitung mitarbeiten willst. Das hätte eigentlich Julia machen wollen, und da du ihr wahrscheinlich eh geholfen hast, könntest du ihre Aufgaben übernehmen.«
»Sagt wer?«
»Sandra und Jennifer. Die beiden wollten dich heute fragen, aber da du nicht mehr in die Schule gekommen bist, sollte ich es dir ausrichten.«
Ich überlegte kurz. Ich hatte tatsächlich mit Julia schon einige Fragen für die Lehrerquizbögen ausgearbeitet, die sie stellen wollte. Vielleicht würde ich während der Lehrerinterviews auch etwas Neues über Melissa erfahren. Ich musste mir bloß noch überlegen, wie ich das am besten anstellte.
»Wenn du willst, helfe ich dir«, sagte Leon.
»Okay.« Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du weißt aber, dass das für dich heißt, noch mehr Zeit mit mir zu verbringen.«
Er grinste. »Klar, genau das war ja mein Hintergedanke dabei …«
Ich hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Kurz darauf flogen Schuhe durchs Vorzimmer und ein Rucksack plumpste mit dumpfem Knall auf den Boden. Corinna war zu Hause – und sie hatte schlechte Laune, was angesichts des Hausarrests verständlich war. Sie ging schnurstracks in ihr Zimmer und wenig später dröhnte der Bass irgendeiner Heavy-Metal-Band durch die Wohnung.
»Komm.« Ich fasste Leon an der Hand und zog ihn hoch. »Ich will dir meine kleine Schwester vorstellen.«
Er stand auf und ließ sich von mir zu Corinnas Zimmer führen. Ich klopfte an, obwohl mir klar war, dass sie es ohnehin nicht hören würde. Wie erwartet kam keine Antwort, also öffnete ich die Tür und zog Leon mit mir hinein.
Sofort drehte meine Schwester die Lautstärke zurück. Mit verschränkten Armen stand sie vor uns und sah neugierig von einem zum anderen.
»Corinna, das ist Leon, von dem ich dir erzählt habe.«
Leon hob lässig die Hand. »Hi!«
Ich deutete auf Corinna und sagte an Leon gewandt: »Und das ist meine kleine Schwester Corinna. Wenn du schon mich für durchgeknallt hältst, dann solltest du sie erst mal näher kennenlernen.«
Wir grinsten uns an. Corinnas Laune hatte sich schlagartig gebessert. »Ich kenne dich von der Schule. Weißt du, dass du einen Fanclub in meiner Klasse hast?«
»Also, äh … nein.« Leon blinzelte überrascht. »Wieso das denn?«
»Die meisten Mädchen finden es cool, dass du eine eigene Wohnung hast und Motorrad fährst.«
Leons Gesicht verdüsterte sich, als sie das Motorrad erwähnte. »Danke, aber du kannst deinen Freundinnen ausrichten, dass ich erstens schon vergeben bin und zweitens nicht mehr Motorrad fahre. … Nie mehr«, setzte er leise hinzu.
Corinna sah mich fragend an und ich zuckte mit den Schultern. Dann schob ich Leon aus Corinnas Zimmer in meines. Die Musik aus dem Nebenraum wurde wieder lauter, allerdings nicht mehr ganz so laut wie zuvor.
»Ich finde es übrigens auch cool, dass du eine eigene Wohnung hast«, sagte ich. »Dort werden wir uns nämlich das nächste Mal treffen, um ungestört an der Abizeitung zu arbeiten.«
Endlich lächelte Leon wieder. »Na schön! Dein ›ungestört‹ hat mich gerade überzeugt.«
Ich drehte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss. Einen sehr langen Kuss. »Wow, wofür war der denn?«, fragte er außer Atem.
»Ach, nur so«, sagte ich leichthin. »Du hast gerade ziemlich traurig gewirkt, als Corinna das Motorrad erwähnt hat«, sagte ich.
Leon seufzte. »Ja, es erinnert mich eben an den Unfall und an meinen Bruder. Ich bin seitdem nie mehr gefahren.«
»Willst du mir davon erzählen?« Ich nahm seine Hand und
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