Frostengel
gewesen, auch wenn es ihm wehttat, über den Unfall und seine Schuld zu sprechen. Jetzt war es Zeit, Leon gegenüber ehrlich zu sein.
»Klar. Wenn ich Seelenstrip mache, dann kannst du das auch.« Er lächelte schon wieder. Zwar noch zaghaft, aber immerhin.
Ich schluckte. Mein Mund war trocken. Wo sollte ich bloß anfangen?
»Wenn man mit dem Reden mal beginnt, geht der Rest ganz leicht. Und man fühlt sich nachher besser. Mir zumindest geht es so.«
»Okay«, gab ich nach. »Es ist aber schlimmer, als du denkst.«
Er warf mir einen beruhigenden Blick zu.
»Okay, du hast es nicht anders gewollt. Kannst du dich noch erinnern, wie wir uns vor dem Grätzel getroffen haben? An dem Tag, nachdem Julia verschwand?«
»Ja, sicher. Du hast mich ziemlich beschimpft, glaube ich mich dunkel erinnern zu können.« Ich wurde rot, als er mich daran erinnerte.
»Das kam nur daher, weil ich wirklich davon überzeugt war, dass du Julia gestalkt hast. Und ich dachte, dass du … dass du ihr etwas angetan haben könntest.« Ich biss mir auf die Lippen. Wie würde Leon auf mein Geständnis reagieren?
Er hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt und behielt sie noch dort. Gut. Hieß das, er war mir nicht böse?
»Dann wurde Julias Leiche gefunden. Für mich war klar, dass du etwas damit zu tun haben musstest. Also sprach ich zuerst mit Karin Zauner über meinen Verdacht. Sie meinte, sie würde sich noch mal mit dir unterhalten. Doch schließlich meinte sie, sie würde ausschließen, dass du mit Julias Tod etwas zu tun hast. Ich war verzweifelt, also wollte ich auf eigene Faust deine Schuld beweisen.«
Immer noch lag Leons Arm um mich. »Das weiß ich doch schon alles – mehr oder weniger. Das ist also dein schreckliches Geständnis?«
»Für mich ist es schon ziemlich schlimm, dir gegenüber einzugestehen, dass ich dich für einen richtig üblen Burschen gehalten habe. Solche Vorurteile passen gar nicht zu …«
Leon streichelte mein Haar. »Dann hätten wir das ja geklärt. Ehrlich, eigentlich bin ich sogar froh, dass alles so gekommen ist.«
Ich drehte mich zu ihm. »Echt?«
»Dass Julia tot ist, darüber natürlich nicht. Aber dass du so hartnäckig versucht hast, die Wahrheit rauszufinden, schon.«
»Warum?«, fragte ich ihn verblüfft.
»Na, weil du mich wahrscheinlich immer noch nicht leiden könntest, wenn du nicht gezwungen gewesen wärst, dich mit mir auseinanderzusetzen.«
Das stimmte. Ich war Leon gegenüber wirklich mehr als abweisend gewesen. Sogar, als Julia versuchte, meine Meinung zu ändern. Und nun hatte sich alles geändert.
Ich schmiegte mich enger an Leon. »Motorräder sind also Horror für dich. Gut. Ich würde mich wahrscheinlich eh nicht trauen, auf einem mitzufahren. Aber hast du wirklich kein Auto?«
»Nein.«
»Und einen Führerschein?«
Leon schob mich ein wenig von sich und starrte mich an. »Fängst du jetzt wieder an?«
Ich gluckste. »Nein, keine Sorge. Wollte nur mal schauen, ob du doch noch ein Geständnis ablegst.«
Er wuschelte mir durch die Haare. »Ich hab’s ja gleich gesagt: durchgeknallt.«
»Selber durchgeknallt! Wie verrückt muss man sein, um sich auf mich einzulassen, eine offensichtlich Durchgeknallte?!«
Er kitzelte mich, bis ich keine Luft mehr bekam. Keuchend schubste ich Leon von mir weg, nur um mich dann als Revanche auf ihn zu stürzen.
27. Februar 2012
Nachdem ich den gestrigen Tag in meinem Zimmer verbracht habe, freute ich mich auf die Schule. Der Vormittag war langweilig, auch wenn die Lehrer das neue Halbjahr recht locker anfingen. Sogar Müller in Englisch ließ uns zum Auftakt einen Film ansehen. Der war weder spannend noch lustig. Mir hätte er nicht einmal gefallen, wenn ich ihn auf Deutsch gesehen hätte. Auf jeden Fall müssen wir bis zur nächsten Stunde eine Zusammenfassung schreiben.
Nach dem Unterricht traf ich mich mit Sandra. Ich bekomme eine ungefähre Vorstellung davon, wie wir die Abizeitung gestalten wollen. Ein paar Lehrerinterviews, ein paar nette Anekdoten, jeder Schüler unserer Stufe bekommt einen Fragebogen, den er ausfüllen soll. Was da genau drinstehen soll, muss ich mir noch überlegen. Ich habe auf dem Nachhauseweg schon mit Theresa ein paar Ideen gesammelt.
Es tut gut, eine Aufgabe zu haben. Vielleicht, aber nur vielleicht, schaffe ich es, wieder zu fotografieren – und wenn es nur Porträts meiner Mitschüler für die Zeitung sind. Ich will mich nicht unter Druck setzen, aber es ist ein Funken Hoffnung da, dass ich mein
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