Frostfeuer
des Weinkellers. Augenscheinlich war die Öffnung in großer Eile und mit wenig Handwerksgeschick verschlossen worden, denn das Mauerwerk war brüchig, die Fugen bröckelten. Wäre ihr daran gelegen gewesen, hätte Maus den Spalt mit bloßen Händen erweitern können, so locker saßen rundherum die Steine.
Jenseits des Spalts lag ein kurzer Gang. Seine Wände waren staubtrocken. Jemand hatte sie mit Balken abgestützt, von denen einer irgendwann abgerutscht war und jetzt schräg inmitten des Tunnels klemmte.
Etwa fünf Schritt hinter dem morschen Balken endete der Gang als Sackgasse vor einer Wand aus Lehm und Mörtel; insgesamt maß er kaum mehr als acht Schritt in der Länge und drei in der Breite. Das Ganze wäre alles andere als ein behaglicher Ort gewesen, hätte Maus ihn nicht mithilfe ihres Diebesguts von einem dunklen Tunnel in einen, nun ja, herrschaftlichen Salon verwandelt. Jedenfalls soweit ihr das möglich gewesen war.
Jenseits des Balkens, auf den letzten fünf Metern des Tunnels, hatte sie die Seitenwände mit rotem Samt bespannt. Nur die Rückwand am Ende des Gangs lag offen – an ihr hing das Ölporträt eines vergessenen Adeligen, der im Gegensatz zu den meisten seiner gemalten Standesgenossen recht liebenswürdig aus dem goldenen Rahmen schaute. Maus kannte weder seinen Namen noch Rang, aber sie hatte sich gedacht, dass es nicht schaden könne, ab und an in ein freundliches Gesicht zu blicken. Er war bartlos, noch jung und hatte dunkles, zurückgekämmtes Haar.
In schmuckvollen Hutschachteln, die Maus sich über Jahre aus den Zimmern der reichen Gäste zusammengeklaut hatte, befand sich ihr übriges Diebesgut: ein paar Bücher, ein halbes Dutzend Schreibfedern und Tintenfässchen, Schnupftabaksdosen und bestickte Taschentücher, eine Karaffe und ein paar wertlose Armreife und Broschen. Maus gab Acht, niemals etwas zu stehlen, das kostbar war. Ihr lag nicht daran, jemandem ernsthaft zu schaden oder sich zu bereichern. Wem hätte sie ihre Beute auch verkaufen sollen? Nein, es ging ihr nur um den Nervenkitzel. Und um die eine oder andere Sache, die sie wirklich haben wollte: etwa das Kästchen mit Schminke, mit dem sie einmal versucht hatte, sich wie eine echte Dame anzupinseln. Oder den kleinen Handspiegel, den sie gleich darauf vor Wut auf sich selbst zerbrochen hatte.
In der Mitte der Tunnelkammer aber lag etwas, das Maus nicht gestohlen hatte. Es war schon hier gewesen, als sie zum ersten Mal durch den Spalt gekrochen war. Das Herz ihrer Sammlung aus Tand und Krempel.
Der Eisenstern.
Was er genau war, vermochte Maus nicht zu sagen. Es handelte sich dabei um ein wunderliches Ding, eine Kugel, halb so hoch wie sie selbst, aus mattem, grün angelaufenem Metall. Seine Oberfläche war mit daumenlangen Stacheln überzogen, deren Enden in stumpfen Rundungen ausliefen. Auf der einen Seite der Kugel gab es eine fest angezogene Schraube, so groß wie ein Fingernagel. Aus Neugier hatte Maus sie einmal gelöst; dahinter befand sich eine kleine Öffnung ins Innere des Eisensterns, gerade breit genug, dass eine Haarnadel hindurchpasste. Welchem Zweck sie dienen mochte, war Maus ein Rätsel geblieben, und so hatte sie die Schraube wieder hineingedreht und seither nicht mehr angerührt.
Wer auch immer den Eisenstern hierher gebracht hatte, schien das Interesse daran verloren zu haben. Außer Maus kam niemals irgendjemand her. Der Eisenstern gehörte jetzt ihr. Und das war die Hauptsache, fand sie.
Man musste nicht viel Spürsinn besitzen, um eins und eins zusammenzuzählen: Der Spalt, durch den sich Maus in den Tunnel quetschte, war viel zu eng für den Eisenstern. Der zugemauerte Durchbruch im Mauerwerk war vermutlich geschaffen worden, um das merkwürdige Ding hierher zu bringen; möglich, dass selbst der Tunnel nur zu diesem Zweck gegraben worden war. Jemand hatte die sonderbare Kugel an diesem Ort deponiert und anschließend die Wand bis auf den schmalen Durchschlupf wieder aufgebaut. Das Ganze war ein Rätsel, das Maus seit Jahren beschäftigte, und bis heute war sie seiner Lösung keinen Schritt näher gekommen.
Oft saß sie inmitten ihres Diebesguts und starrte den Eisenstern an. Als wartete sie darauf, dass er eines Tages zu ihr sprechen und sein Geheimnis offenbaren würde. Sie gab die Hoffnung nicht auf, seinen einstigen Besitzern irgendwann doch noch auf die Schliche zu kommen.
Unter dem Ölgemälde an der Rückwand lag ein Haufen Kissen. Die meisten hatte Maus schon vor ein paar Jahren in
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