Frostglut
konzentrierte mich und berührte noch weitere Holzstücke und Glasscherben, aber alle Erinnerungen waren gleich. Nach einer Weile stand ich wieder auf.
»Irgendwas?«, fragte Metis.
Ich schüttelte den Kopf. »Nichts Wichtiges, genau wie bei den Leichen, die ich vorhin berührt habe. Ich habe nur gesehen, wie der Schnitter die Vitrine zerschlägt.«
Metis hob die Beschreibungskarte auf und las sie, genau wie ich es vorhin getan hatte. Dann musterte sie wieder den leeren Schaukasten. »Ich verstehe das nicht«, murmelte sie. »Warum sollten die Schnitter so etwas stehlen? Warum sich all diese Mühe machen, wenn es doch viel wertvollere Dinge in der Bibliothek gibt?«
»Genau«, sagte ich. »Die Schatulle und der Schmuck sind wunderschön, aber irgendwie scheint das Zeug keine echte Macht zu besitzen.«
»Vielleicht ist es nur ein cleverer Trick, um das Protektorat von dir abzulenken«, schaltete sich eine tiefe Stimme ein.
Ich drehte mich um und entdeckte Linus, der gefolgt von Inari und Sergei durch einen Gang auf uns zukam. Hinter ihnen ging Agrona. Die Protektoratsmitglieder hielten an und bildeten eine Front quer durch den Gang. Ich seufzte. Es ging wieder los.
Linus bedachte mich mit einem kalten Blick. »Wieder einmal scheinen Sie sich mitten in einem Schnitterangriff wiedergefunden zu haben, Miss Frost. Das ist offenbar eine unangenehme Angewohnheit von Ihnen. Würden Sie mir mitteilen, was geschehen ist?«
Ich sah zu Metis, die nickte. Dann holte ich tief Luft und erzählte ihm alles – wie ich entdeckt hatte, dass die Schnitter sich an Alexei und Oliver heranschlichen, wie ich sie vor dem Angriff gewarnt hatte. Ich beschrieb den Kampf, dann die Jagd nach dem Schnitter und die Entdeckung, dass der böse Krieger Artefakte stahl. Schließlich erzählte ich Linus noch, wie der Schnitter entkommen war.
Als ich fertig war, richtete Linus seinen eisigen Blick auf Alexei.
»Du warst angewiesen, Miss Frost nicht aus den Augen zu lassen«, blaffte er den jüngeren Mann an. »Wieso also ist sie dann allein zwischen den Regalen umhergewandert, während sie angeblich Bücher eingeordnet hat?«
Alexeis Gesicht wurde ein wenig rot, und er öffnete den Mund. Aber ich kam ihm zuvor.
»Weil ich arbeiten musste und ich es leid war, von ihm beäugt zu werden wie von einem verdammten Falken. Also habe ich ihm erzählt, ich müsste mal für kleine Mädchen, und bin ihm abgehauen«, log ich. »Wahrscheinlich wollte er Oliver gerade fragen, wo ich sein könnte, als die Schnitter angegriffen haben.«
Alexei zog überrascht die Augenbrauen zusammen, aber Linus’ Miene wurde nur noch kälter.
»Du wurdest für diesen Auftrag ausgewählt, weil du einer der vielversprechendsten jungen Krieger im Pantheon bist«, blaffte Linus. »Und doch hast du nicht mal den ersten Tag überstanden, ohne dich von diesem Mädchen überlisten zu lassen.«
Vielleicht hatte ich zu viel Zeit mit Vic verbracht, aber ich konnte den Mund einfach nicht halten. »Na ja, in dieser Hinsicht bin ich ziemlich clever«, verkündete ich spitz.
In Linus’ Schläfe fing eine Ader an zu pochen, und ich konnte förmlich hören, wie er mit den Zähnen knirschte.
»Selbst dem hingebungsvollsten Krieger kann eine Unachtsamkeit unterlaufen«, erklärte Inari. »Das passiert den Besten unter uns.«
»Sei nicht so streng mit meinem Jungen«, schaltete sich Sergei ein. Seine Stimme war um einiges lauter und klang viel härter als Inaris. »Letztendlich ist doch alles gut gelaufen, oder?«
Linus drehte sich um und starrte den anderen Mann böse an. »Wenn du mit gut meinst, dass Schnitter in die Bibliothek der Altertümer eingedrungen sind, ohne einen Alarm auszulösen, Schüler angegriffen und Artefakte gestohlen haben, dann ja. Ich nehme an, dann ist alles gut gelaufen.«
Sergei schnaubte, aber er sagte nichts mehr. Inari legte ihm eine Hand auf die Schulter, um seinen Freund wortlos zu ermahnen, sich zu entspannen. Agrona stand immer noch schweigend neben ihnen. Ihr schönes Gesicht war nachdenklich verzogen, und sie spielte ständig an ihrer Halskette herum und rieb die goldenen Glieder.
Linus drehte sich wieder um, um mich anzustarren. »Aber vielleicht ist das ja alles Teil eines Plans, um den Verdacht von Ihnen abzulenken, Miss Frost. Sie entkommen Alexei und schlagen Alarm, weil angeblich Schnitter angreifen. Vielleicht wurde ja deswegen kein Alarm ausgelöst, weil Sie die Schnitter selbst in die Bibliothek gelassen haben. Vielleicht ist der letzte
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