Frostglut
stand hier gar nichts. Warum sollten die Schnitter es also riskieren, in die Bibliothek zu kommen, um sie zu stehlen? Sicher, dieser juwelenbesetzte Schmuck war bestimmt unglaublich wertvoll, aber Loki hatte seine Anhänger mit Gold, Silber und mehr belohnt, genauso wie die Götter des Pantheons es mit ihren Gefolgsleuten getan hatten. Die Schnitter besaßen wahrscheinlich genauso viel Geld wie alle anderen in der mythologischen Welt. Also warum machten sie sich all diese Mühe, um diesen Schmuck zu klauen? Warum hatten sie nicht lieber ein paar Schwerter aus der Bibliothek mitgenommen? Oder Rüstungsteile? Irgendwas, das mehr Magie und Macht besaß?
»Eine Schatulle?«, sprach Vic meine Gedanken aus. »Der Schnitter hat nur eine dämliche Schatulle geklaut? Himmel, das ist ja nicht mal eine Waffe!«
Mein Kopf brummte von all den Fragen, die mir durchs Hirn schossen. Aber sosehr ich mich auch bemühte, ich kam nicht drauf, was so besonders an der Schatulle oder dem Schmuck sein sollte. Irgendetwas musste ich übersehen, denn die Schnitter taten nie etwas ohne Plan, ohne ein klares Ziel vor Augen.
»Gwen!« Daphnes Stimme hallte durch die Bibliothek. »Wo bist du? Geht es dir gut?«
»Hier drüben!«, rief ich. »Es geht mir gut! Bleibt da! Ich komme zu euch!«
Immer noch besorgt, warf ich einen letzten Blick auf die zerstörte Vitrine, bevor ich zu den anderen zurückkehrte.
Logan, Daphne, Oliver und Alexei standen eng zusammen in einem Kreis toter Schnitter im hinteren Teil der Bibliothek. Die Walküre entdeckte mich als Erste, und prinzessinenrosa Funken schossen wie ein Feuerwerk aus ihren Fingerspitzen. Das verriet mir, wie froh sie war, mich zu sehen.
»Da bist du ja!« Daphne zog mich in eine enge Umarmung. »Warum bist du abgehauen? Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!«
»Ich weiß. Es tut mir leid. Aber ihr habt die anderen ziemlich mühelos fertiggemacht, und ich wollte nicht, dass dieser letzte Schnitter entkommt.«
Ich erzählte den anderen, wie ich bemerkt hatte, dass der Schnitter sich wegschlich, und wie ich ihn verfolgt hatte, nur um zu entdecken, dass er Artefakte stahl.
»Was für Artefakte?«, fragte Oliver.
Ich zuckte mit den Achseln. »Das ist ja das Seltsame. Es waren nur eine Schatulle und ein paar Schmuckstücke. Anscheinend war das Zeug nicht mal besonders magisch, zumindest laut der Beschreibungskarte. Ich verstehe nicht, warum sie sich die Mühe machen sollten, hier einzubrechen, nur um dieses Zeug zu stehlen. Warum haben sie stattdessen nicht ein paar Waffen geklaut? Mächtigeres Zeug? Oder zumindest etwas, das im Kampf hilft?«
»Schnitter ergeben keinen Sinn«, verkündete Logan düster.
Ich deutete auf die Leichen, die auf dem Boden lagen. Meine Freunde hatten ihnen die Gummimasken vom Gesicht gezogen, sodass man nun die glasigen, matten Augen und die schmerzverzerrten Gesichter sah. Es waren fast genauso viele tote Männer wie Frauen, und alle waren erwachsen.
»Und was ist mit den Schnittern hier? Weiß irgendwer, wer sie sind? Oder wie sie es auf das Schulgelände und in die Bibliothek geschafft haben, ohne dass irgendeine Art von Alarm ausgelöst wurde?«
Logan schüttelte den Kopf. »Ich erkenne keinen. Du, Alexei?«
Der Bogatyr schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein. Keiner von ihnen kommt mir bekannt vor.«
»Vielleicht kann Gwen mit ihrer Magie etwas finden?«, meinte Oliver und sah mich an. »Du weißt schon … wie du es im Haus deiner Grandma getan hast.«
Ich verzog das Gesicht. Oliver sprach davon, dass ich meine Magie eingesetzt hatte, um den Mann zu blitzen, der vor ein paar Wochen zusammen mit Preston und Vivian Grandma Frost angegriffen hatte – und von meiner Grandma getötet worden war. Es hatte mir nicht gefallen, den toten Mann zu berühren, und ich wollte dasselbe sicherlich nicht noch mal mit einer ganzen Reihe toter Schnitter machen. Aber Oliver hatte recht. Vielleicht würde meine Psychometrie mir ein paar Informationen über die Schnitter liefern und darüber, was sie mit den Artefakten vorhatten.
»Gypsymädchen?«, fragte Logan.
Ich seufzte. »Es gefällt mir nicht, aber ich mache es.«
Damit ging ich von einem Schnitter zum anderen, zog ihnen die blutverschmierten Handschuhe aus, berührte ihre Hände und schaute, was für Schwingungen ich von ihnen empfing. Aber die Erinnerungen und Gefühle, die mit den Männern und Frauen verbunden waren, waren bereits zum größten Teil verblasst. Ich sah nur Bilder vom Kampf der Schnitter
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