Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
die Walküre vor Erschöpfung umgekippt war, hatte es sich fast so angefühlt, als würde ich ihre heilende Energie nutzen. Vielleicht hatte ich ja genau das getan. Immerhin waren all die Schnitte und Verletzungen, die ich im Kampf mit dem Schnittermädchen eingesteckt hatte, in diesem Moment verschwunden. Ich fragte mich, ob Metis wohl so etwas meinte, ob das Anzapfen von Daphnes Macht oder der Macht eines anderen eine von diesen anderen Sachen war, die ich vielleicht mit meiner Gypsygabe tun konnte.
Grundsätzlich allerdings hatte mir die Professorin dasselbe erklärt wie meine Grandma Frost vor einer Weile – dass meine Magie immer stärker und vielfältiger werden würde. Ich fragte mich trotzdem, wie das alles funktionieren sollte. Ich hatte noch nie mehr als Erinnerungen und Gefühle von einem Gegenstand aufgefangen, und ich hatte sicherlich nie versucht, jemand anderem meinen Willen aufzuzwingen.
Ich öffnete den Mund, um die nächste Frage zu stellen, aber Metis kam mir zuvor.
»Lass mich meine Jacke holen, dann bringe ich dich runter ins Gefängnis«, sagte sie. »Mich interessiert sehr, was Preston heute zu sagen hat. Und mach dir keine Sorgen um Daphne. Sie wird schon wieder.«
Die Professorin ging in ihr Büro. Wieder dachte ich an Daphnes unfreundliche Worte und die Wut, die in ihren Augen geschwelt hatte. Irgendwie bezweifelte ich, dass die Walküre sich so schnell wieder fangen würde, wie Metis annahm.
Metis und ich verließen das Gebäude für Englisch und Geschichte und gingen quer über den oberen Hof zum mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebäude. Ich drückte das Kinn tief in meinen grauen Schal, um mich warm zu halten, aber die Luft um mich herum schien bei jedem Schritt kälter zu werden. Fast als zöge ein Sturm auf.
Ich folgte Metis in das Gebäude, und dann gingen wir nach unten, unten, unten, durch eine Serie von elektronisch und magisch gesicherten Türen, bis es schließlich schien, als wären wir so tief unter der Erde, dass wir die Sonne nie wiedersehen würden.
Schließlich erreichten wir eine riesige Tür, die aus demselben dunkelgrauen Stein bestand wie der Rest des Gebäudes. Dicke Eisengitter zogen sich über die Tür, und zwei Sphinxe waren in den Stein gemeißelt. Die Kreaturen wirkten sogar noch wilder als diejenigen draußen am Tor, als bestände ihr alleiniger Daseinszweck darin, das, was sich hinter der Tür befand, an der Flucht zu hindern. Egal wie oft ich hier runterkam, beim Anblick der böse starrenden Sphinxe wurde mir immer mulmig. Ich schauderte und wandte den Blick ab.
Metis fischte einen großen Schlüssel aus ihrer Jackentasche und schob ihn ins Schloss. Die Tür öffnete sich mit einem lauten Quietschen, dann traten wir hindurch.
Das Gefängnis besaß ein Kuppeldach, genau wie die Bibliothek der Altertümer, und erschien viel größer, als es sein sollte, wenn man bedachte, wie tief wir uns unter der Erde befanden. Glaszellen bildeten drei Stockwerke hoch die kreisförmigen Gefängniswände. Ich fand es immer ein wenig seltsam, dass dies der einzige Ort auf dem Campus war, an dem es keine Statuen von Göttern, Göttinnen oder mythologischen Kreaturen gab. Stattdessen hatte man in die Decke das Relief einer Hand gehauen, die eine riesige, im Gleichgewicht befindliche Waage hielt. Allerdings war sie nicht weniger unheimlich.
Direkt neben der Tür stand ein Schreibtisch. Gewöhnlich saß hier Raven und las eines ihrer Klatschmagazine, aber heute war der Stuhl leer. Metis bemerkte meinen fragenden Blick.
»Raven musste in den Speisesaal, um einige Dinge für den Kaffeewagen zu holen«, erklärte sie. »Außerdem ist es ja nicht so, als würde Preston irgendwo hingehen. Wenn die anderen Schnitter ihn hätten befreien wollen, hätten sie das längst getan.«
Ihre Erklärung ergab Sinn, aber sie machte mich nicht glücklicher, hier zu sein. Nichts schaffte das. Ich stellte meine Tasche auf Ravens Schreibtisch und wandte mich der Mitte des Gefängnisses zu.
Preston Ashton saß zusammengesunken an einem Steintisch in der Mitte des Raumes, direkt unter dem Relief der Hand mit der Waage. Trotz der Tatsache, dass er einen orangefarbenen Overall und Papierschuhe trug, war Preston ein gut aussehender Kerl mit weißblondem Haar, hellblauen Augen und einem kantigen Gesicht. Zumindest hatte ich ihn für phantastisch gehalten, bis er, na ja, ein paarmal versucht hatte mich umzubringen. Wenn ich Preston jetzt anschaute, sah ich nur noch den schnitterroten Funken
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