Frostherz
Aber sie gaffte nur und da trat ich zu, mit dem Fuß, mit dem Schuh und ich trat und trat und ihre Schreie taten mir so gut. Aber dann kamen welche und zogen mich fort und nun lag ich auf dem Boden und die Füße trafen mich und es waren nicht bloß zwei, es waren viele. Und ich hatte es verdient.
7. Kapitel
Den nächsten Tag verbrachte sie beinahe wie in Trance. Weniger, weil sie so müde war, vielmehr weil die Gedanken durch ihren Kopf marschierten wie eine kampfesdurstige Söldnertruppe. Wer war Andreas? Wo war er? Wer war der Eindringling gewesen? Was hatte er gewollt? Was sollte sie tun? Mit jemandem reden? Mit Cornelius?
Johann hatte sie beim Frühstück mehr als misstrauisch beäugt, als sie erklärt hatte, sie wäre in der Nacht aus ihrem Bett gefallen und mit der Schläfe gegen das Nachttischschränkchen geknallt.
»Warum hast du mich nicht geweckt? Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung! Oder ein Gerinnsel!« Er war aufgesprungen, hatte sie an den Schultern gepackt und forschend in ihre Augen geschaut.
»Alles okay«, hatte sie geantwortet und sich zu entwinden versucht.
»Anne, bitte, sag mir, wenn etwas ist. Hast du Kopfschmerzen? Ist dir schwindelig? Oder schlecht?«
»Nein!« Sie antwortete viel zu laut, löste seine Finger von ihren Schultern. »Willst du mich jetzt vielleicht noch nachts im Bett anbinden?«
Er ließ die Arme hängen, den Kopf, schüttelte ihn langsam. »Ich mache mir nur Sorgen. Dir darf einfach nichts passieren. Das verstehst du doch, nicht wahr, mein Engel?«
Er versuchte, die Arme erneut um sie zu legen, aber sie duckte sich darunter weg und ging zur Tür.
»Ich muss los!«, rief sie und hatte das Gefühl, mit den Augen Blitze zu schleudern. Er sagte tatsächlich nichts mehr und ließ sie ziehen. Gierig sog sie die frische Morgenluft ein.
Rosen sah sie irritiert an, als sie den lateinischen Satz an der Tafel nicht übersetzen konnte. Fast wirkte er ein wenig enttäuscht. Schließlich war sie seine Musterschülerin. Doch Anne konnte in den Buchstaben keinen Sinn erkennen. »Requiescat in pacem« mäanderte es durch ihren Kopf, »requiescat in pacem«. Ansonsten: Leere. Als sie nach dem Unterricht den Raum verlassen wollte, rief er sie zurück.
»Ich hoffe, es ist nicht der negative Einfluss meines Sohnes, der deine Leistungen schmälert«, sagte er und sah sie über seine goldene Brillenfassung hinweg an. Er hatte wohl schon bemerkt, dass sie öfter mit Cornelius zusammen war. Sie schüttelte den Kopf, unfähig, seinen forschenden Blick aufrecht zu erwidern.
»Ich könnte ja hoffen, dass du guten Einfluss auf ihn ausübst, aber das wird dir kaum gelingen. Wie sieht es denn mit dem Haus aus? Hat dein Vater sich jetzt entschieden? Wir müssen dringend umziehen. Unser Heim ist für meine Frau einfach nicht mehr das Richtige. Vielleicht kannst du ein gutes Wort für uns einlegen? Und deine heutige Leistung vergessen wir, nicht wahr?!«
Sie nickte nun, stammelte ein »Danke« und »Ich red’ mit ihm« und verließ schnell das Klassenzimmer. Als sie um die Ecke bog, prallte sie mit Cornelius zusammen.
»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, sagte er leise und lächelte sie an. Sein Blick tat ihr so gut. Das erste warme Gefühl des Tages durchlief ihren Körper.
»Dein Vater«, zischte sie nur und der Junge zog sie eilig von der Tür fort.
»Redet der immer so schlecht über dich?«, fragte sie, als sie in der Caféteria angekommen waren und sich in die Schlange für das Mittagessen eingereiht hatten. Cornelius nickte, ohne etwas zu sagen.
»Ich muss dir was erzählen«, kamen ihr die Worte wie von selbst über die Lippen. Cornelius sah sie erwartungsfroh an.
»Nicht hier, später«, sagte sie, selbst irritiert über ihren konspirativen Ton.
»Okay«, antwortete er und dirigierte sie in Richtung eines freien Platzes auf der Terrasse. Doch kaum hatten sie sich gesetzt, tauchte hinter Cornelius Ami auf. Anne hatte überhaupt nicht mitbekommen, woher das Mädchen so plötzlich erschienen war. Leichenblass sah sie aus, nervös zupfte sie an ihrem Lippenpiercing.
»Haste mich vergessen?«, fragte Ami mit schwerem Zungenschlag. Ihre stechenden Blicke aus kleinen Pupillen durchbohrten Cornelius geradezu. Überrascht drehte er sich um. »Hi Ami«, sagte er völlig ruhig.
»Nichts ›Hi Ami‹«, antwortete diese und ihre Stimme klang kratzig. »Du wolltest heute mit mir Mittag essen gehen und nicht mit dem Opfer da! Dieser Streberspießerin. Schon vergessen?« Die
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