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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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der alten Freundin ihrer Großmutter. Sie bestätigte Johanns Wunsch, dass sie übermorgen bei Anne bleiben konnte, während er fort war. Anne runzelte die Stirn und sah Johann fragend an, als er ins Wohnzimmer kam.
    »Mist«, sagte er. »Wir haben vorhin ganz vergessen, die Terrassentür zuzuschieben. Na ja, aber bei uns gibt es ja eh nichts zu holen.« Er schob die Tür zu und verriegelte sie.
    »Was ist das mit Hedi?«, fragte Anne und wunderte sich selbst über die Schärfe in ihrer Stimme.
    »Ach«, sagte Johann leichthin. »Stimmt, das habe ich ganz vergessen, dir zu sagen. Ich muss am Montag zur Jahresversammlung nach Berlin und es lässt sich nicht vermeiden, dort zu übernachten. Ich habe Hedi gebeten, dass sie herkommt. Hat sie zugesagt?«
    Anne nickte. Ich bin kein Kind mehr, wollte sie brüllen, ging aber nur wortlos in ihr Zimmer.
    Sie sah es nicht sofort. Erst als sie auf der Bettkante saß und ihr der Schreibtisch ins Visier geriet. Hatte sie heute ihr Biologiebuch ausgepackt? Die Hausaufgaben hatte sie doch schon gestern gemacht. Und ihr Mäppchen? Warum lag es obenauf? Sie sprang auf und bemerkte erst jetzt, dass ihre Schultasche auf dem Schreibtischstuhl stand, geöffnet. Und neben dem Kleiderschrank lag eine Unterhose, die sie garantiert nicht hatte fallen lassen. Jemand musste in ihrem Zimmer gewesen sein. Jemand war durch die Terrassentür direkt ins Haus marschiert.
    Leise schlich Anne in den Flur, alles war schon dunkel. Sie rüttelte an der Haustür. Verschlossen. Kontrollierte die Rollläden. Alle unten. Sah nach der Terrassentür, der Kellertür. Zu. Trotzdem hätte sie in diesem Moment gerne ihre Schlaftablette genommen. Sie fürchtete, diese Nacht nicht eine Minute zu schlafen. Was passierte hier? In ihrem Leben? Wer drang mit giftigen Tentakeln immer weiter ein und versuchte, ihr die Luft zum Atmen abzuschneiden?
    Er war den halben Abend durch die Straßen gewandert. Von Unruhe und Missmut getrieben, Aggression in sich spürend, Zerstörungswut. Und gleichzeitig dieses Grübeln, nach innen gerichtet und autistisch fast. Er wusste nicht, was mit ihm los war.
    Wut auf seinen Vater, wie so oft, der die Mutter vernachlässigte und ihn sowieso.
    Wut auf Ami, die ihn verpetzt hatte und die er so gerne loswerden würde, weil sie dunkle Schleusen in ihm zu öffnen vermochte, denen er nicht nachgeben wollte. In Bangkok war sein Haschkonsum viel größer gewesen, da taten es einfach alle. Aber ihn kotzte an, wie es die Sinne vernebelte, wie es ihn immer weiter von ihm selbst entfremdete und von denen, denen er nahe sein wollte.
    Und Wut auf sich selbst. Weil er es nicht schaffte, sich selbst darüber klar zu werden, was er wollte. Anne. Oder eben nicht. Allein sein. Dieses Gefühl, gebraucht zu werden, helfen zu können, war großartig und warm. Aber hatte es auch etwas mit Liebe zu tun? Wenigstens mit Verliebtsein? Alle Mädchen, die ihn bisher angezogen hatten, hatte er wegen ihrer speziellen Art von Schönheit gewollt, die oft nur er gesehen hatte. Unkonventionell waren sie gewesen – und unabhängig. Das war Anne bei Weitem nicht. Sie war ein Vogelküken, das man schnellstens aus dem Nest werfen sollte. So wie es ihn reizte, Anne seine Hand als Stütze hinzustrecken, stieß es ihn auch ab. Wie sollte er verhindern, dass sie ihr Leben in seine Hände gab und er plötzlich für sie verantwortlich war? Eine beunruhigende Vorstellung. Und doch süß und schmeichelnd.
    Im Haus brannte kein Licht. Seine Mutter lag noch immer zusammengekrümmt auf ihrem weißen Bett im Krankenhaus und wartete, dass ein Wunder geschah. Dass die Schmerzen aufhörten. Wo sein Vater war, scherte ihn nicht. Hauptsache, er war nicht daheim.
    Doch als er die Tür aufschloss, wurde er eines Besseren belehrt. Zwar war nirgends eine Lampe angeschaltet, aber aus dem Wohnzimmer hinter den weißen, alten Flügeltüren drang Musik hervor, Richard Wagner, den seine Mutter immer gehasst und nie gespielt hatte. Leise ging Cornelius die Treppe hinauf in Richtung seines Zimmers. Bleischwer fühlten sich seine Beine plötzlich an. Schlafen, dachte er, einfach schlafen. Es war schon kurz vor zwölf, erkannte er auf der Standuhr im Flur.
    »Cornelius«, ertönte die Stimme seines Vaters hinter ihm. Wieso hatte er ihn kommen hören? Unbeirrt stieg er weiter hoch.
    »Du glaubst doch nicht, dass ich dich so davonkommen lasse. Bleib stehen.«
    Cornelius verdrehte die Augen, blieb aber tatsächlich stehen.
    »Komm runter.«
    Als sei er ein

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