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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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Motorrad knickte sie jedesmal um. Vielleicht sollte er sie lieber im Krankenhaus abliefern.
    »Connylein«, säuselte sie. »Bitte, nimm mich mit heim. Du darfst alles mit mir machen, bitte!« Sie versuchte erneut, ihn zu küssen, aber er drehte schnell den Kopf weg.
    »Aaah, du bis’ immer noch sauer, weil ich dich verpfiffen hab’«, meinte Ami.
    »Quatsch«, sagte Cornelius und versuchte, sie aufs Monster zu setzen. Inzwischen nieselte es nur noch.
    »Moment.« Sie hielt in der Bewegung inne. »Halt doch mal das Karussell an.« Und dann übergab sie sich im hohen Bogen schwallartig auf den Boden, direkt neben die Ducati. Cornelius drehte sich angeekelt fort, fummelte jedoch ein Taschentuch hervor und gab es ihr. Sie wischte sich stöhnend den Mund ab.
    »Bah, is’ mir schlecht«, wisperte sie. »Ich geh keinen Schritt mehr.« Und schon sank sie hinunter auf die nächstgelegene Treppenstufe.
    »Los, komm«, versuchte Cornelius. »Du holst dir den Tod hier draußen. Ist doch viel zu nass und zu kalt.«
    Sie sah ihn durch ihr verschmiertes Make-up verständnislos an.
    »Mir ist warm!« Sie begann, ihre Sweat-Jacke auszuziehen, darunter wurde ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top mit einem riesigen pinkfarbenen Lippenabdruck sichtbar.
    »Hör auf«, raunte Cornelius und kniete sich zu ihr, um ihr die Jacke wieder anzuziehen. Sie umklammerte seine Hand und legte sie auf ihre dürre Brust.
    »Wie fühlt sich das an?«, zischte sie. »Geil, oder?« Sie öffnete die Lippen, streckte ihm ihre Zunge entgegen, der saure Geruch ihres Atems stieß ihn zurück, beinahe hätte sich ihm selbst der Magen umgedreht. Er riss sich los und rannte zurück zu seinem Motorrad. Ihr irres Lachen hallte ihm hinterher.
    »Angsthase«, brüllte sie ihm nach.
    Wohin ihn sein Weg geführt hatte, erkannte er erst, als er endlich anhielt und sich umsah. Wie in einem Gruselfilm, wie in einem David-Lynch-Film, ragte das Haus von Annes Großmutter vor ihm auf. Der Regen peitschte die Fliederäste, die braun gewordenen Blütenblättchen ergaben sich und taumelten auf das Pflaster. Cornelius musste nicht einen Moment nachdenken, er wusste genau, dass sich in dem Tankrucksack, der auf das Monster geschnallt war, neben Handy, Notizbuch und Zigaretten noch immer der Schlüssel des Hauses befand. Er wühlte ihn hervor und mit ein wenig zitternden Fingern öffnete er die Tür. Für einen Moment erwartete er fast, der weißlich-durchsichtige Geist von Annes Großmutter würde ihn mit geheimnisvollem Gesicht im Flur begrüßen. Alles war ruhig. Nur der Regen trommelte gegen die Fenster. Er lehnte sich müde gegen die Haustür, tastete nach dem Lichtschalter und wunderte sich nur kurz, wie fahl die altmodische Glühbirne den Raum erhellte. Geradeaus ging es in die Küche, links daneben ins Bad, dann ins Wohn- und Esszimmer und rechter Hand führte eine Treppe sowohl ins Obergeschoss als auch in den Keller. Ich will das Zimmer sehen, dachte Cornelius und ging schon hinunter.
    Wie schon Anne war auch er fasziniert davon, wie intakt das Zimmer wirkte, wie belebt, als ob sein Bewohner nur kurz zum Einkaufen gegangen war. Am liebsten hätte er sich von den Klamotten im Kleiderschrank genommen: Hawaiihemden, Shirts in Neongrün oder -gelb, schmale, aber bunte Krawatten, abartige Jeans wie von Picaldi in extremer Karottenform, aber auch abgeschnittene, ausgefranste Bundeswehrhosen, nietenbesetze Lederwesten und abgetretene Springerstiefel. Obwohl das Zimmer so bewohnt wirkte, spürte Cornelius gleichzeitig den Atem der Vergangenheit, ein kalter Atem, der ihn frösteln ließ.
    Aus einer halb offen stehenden Schublade des Schreibtischs leuchtete ihm etwas knallrot entgegen und instinktiv griff er danach. Es war ein achteckiger, handtellergroßer Button, der wie ein Stoppschild aussah. In weißen Buchstaben stand darauf »Stoppt StrauSS«, wobei die beiden »S« als altgermanische Runen-S gestaltet waren. Cornelius wusste nicht ganz genau, worauf der Anstecker Bezug nahm, aber er ahnte, dass er damals provokant gewesen war. Ein früherer bayerischer Ministerpräsident hatte so geheißen – und wenn er die Punker-Plakate an den Wänden betrachtete, war es leicht, sich vorzustellen, dass Andreas etwas gegen diesen CSU-Typen gehabt hatte. Cornelius schob den Button in seine Jacketttasche und zog sich zurück. Schlafen hätte er hier nicht wollen, in dieser groß gemusterten, schwarz-pink-gelben Bettwäsche, in diesem seltsamen Museum eines Vergessenen. Er ging

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