Frostherz
überlief sie, als ihr der Einbrecher einfiel – was der wohl gesucht hatte?
Sie hörte eine Autotür zuschlagen und kurz darauf den Schlüssel in der Haustür. Nur einen Moment wunderte sie sich, dass ihr Vater heute nicht so müde aussah wie sonst, wenn er aus dem Büro kam. Sie ahnte, was seine Laune aufbesserte, und war froh – vielleicht wäre er nicht ganz so sauer auf ihr Geständnis.
»Mein Schatz«, begrüßte er sie und nahm sie zärtlich in den Arm. »Du sollst doch nicht ohne mich kochen. Nachher verbrühst du dich noch mit kochendem Wasser oder so etwas. Außerdem…« Er machte eine kleine Pause und zog vielversprechend die Augenbrauen hoch. »Wollte ich dich heute zum Essen ausführen. Es ist so schönes Wetter und wir könnten uns doch mal wieder bei Peppino auf die Terrasse am Fluss setzen.« Anne glaubte ihren Ohren kaum zu trauen.
»Du musst nicht so verblüfft schauen«, nahm ihr Vater ihre Reaktion auf. »Wir sind ja nicht völlig verarmt. Und wenn wir jetzt Omas Haus verkaufen…«
»Willst du es jetzt doch verkaufen?«
»Ja, natürlich. Frau Jung hat mir klargemacht, dass es einfach nicht tragbar ist, ein solches Haus leer stehen zu lassen. Und sie würde sich um alles kümmern: auch, dass das Haus ausgeräumt wird, vertrauenswürdige Käufer finden, all das. Ich habe ein gutes Gefühl bei ihr.«
Während sie im Auto in Richtung Altstadt fuhren, brachte Anne keinen Ton heraus. Immer wieder versuchte sie, den ersten, richtigen Satz zu finden, aber sie schaffte es nicht. Die Worte blieben einfach stecken. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln an, hatte nicht viel Mühe, sich vorzustellen, wie sein Blick dunkel, sein Gesicht zornesrot werden würde, wenn sie ihm ihr Vergehen beichtete. Nach dem Essen, beschwor sie sich, nach dem Essen.
Sie bekamen den letzten Tisch, der direkt an der Brüstung stand, unter der der Fluss seine gemächlichen Bahnen zog. Blesshühner quietschten, grellgrüne Algen flatterten im dunklen Wasser und in der Luft hing der schwere Duft von verblühendem Flieder. Anne bestellte wie immer einen italienischen Salat und Spaghetti mit Pesto und wunderte sich heute nicht mal, dass ihr Vater einen Rotwein zum Essen orderte. Er erzählte und fragte so entspannt, wie sie ihn selten erlebt hatte. Diese Marita Jung musste Zauberkräfte haben.
»Ich freue mich schon auf euer Konzert«, sagte er. »Da hast du doch sicher noch ein paar zusätzliche Proben, oder? Weißt du schon wann? Dann könnte ich es so einrichten, dass ich dich danach abhole.«
»Ich sag’s dir, wenn ich was weiß.« Anne stocherte in ihrem Salat, pickte ein paar Oliven heraus und knabberte lustlos an ihnen.
»Und vielleicht sollten wir doch noch mal über ein paar Ferientage nachdenken. Die Ostseeküste soll sehr schön sein. Frau Jung hat mir da ein paar Flecken genannt«
Anne nickte abwesend, seine Worte vermischten sich mit dem Rauschen des Flusses. Sag’s ihm, sag’s ihm , klang es in ihrem Kopf.
»Darf ich mich dazusetzen?«, riss sie plötzlich eine Frauenstimme zurück in die Realität.
»Gerne, wir haben gerade von Ihnen gesprochen!« Johann strahlte über das ganze Gesicht, stand auf und reichte Marita Jung mit einer angedeuteten Verbeugung die Hand. Ob diese Begegnung wirklich rein zufällig war?
»Hallo, Anne«, sagte die Maklerin und Anne wunderte sich, dass diese ihren Namen noch wusste. »Ein herrlicher Platz hier, nicht wahr?« Anne nickte und bohrte die Gabel in ihren Salat. Heute würde sie nicht mehr beichten.
Sie war froh, dass sich die beiden Erwachsenen so mühelos unterhielten. Keiner erwartete große Anteilnahme ihrerseits am Gespräch. Anne beobachtete die Frau genau: Sie strahlte eine große Wärme aus, wirkte offen und freundlich. Keine Frage, sie war sympathisch. Und ihre Gestik und Mimik erinnerte ganz eindeutig an die ihrer Mutter. Kein Wunder, dass Johann so offensichtlich fasziniert war.
Es war fast zehn Uhr, als sie zurückkehrten. Johann hatte gleich einen weiteren Termin mit der Maklerin gemacht, um noch mehr Details zu bereden. Im Auto hatte Anne einen kurzen Moment überlegt, ob sie das Thema Schule ansprechen sollte. Aber sie wollte ihm nicht die Laune verderben. Hoffentlich rief ihn Brunner nicht an. Oder hatte schon angerufen.
Zu Hause blinkte die Zahl zwei auf dem Anrufbeantworter. Während Johann auf die Toilette ging, hörte Anne ihn ab. Tatsächlich – der erste Anrufer war Brunner, sie löschte ihn mit schlechtem Gewissen. Der zweite Anruf kam von Hedi,
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