Frostherz
stattdessen, aber Hedi unterbrach sie sogleich.
»Na, ich freue mich doch, wenn ich mal jemanden habe, den ich verwöhnen kann.«
Es begann ein heiterer Nachmittag. Der Kuchen war köstlich und Anne spürte die wohltuende Wirkung des Kaffees. Sie war ein wenig aufgedreht, alberte mit Cornelius herum, der sich ebenfalls zunehmend entspannte. Nach einer halben Stunde Plauderei mahnte Anne jedoch, sich jetzt endlich an das Referat zu setzen. Nachdem sie noch einmal am Telefon ihrem Vater versichert hatte, dass alles in bester Ordnung war, machten sie sich ans Werk.
Cornelius wirkte still und zurückhaltend und war offensichtlich froh, dass Anne bereits so etwas wie eine Struktur parat und sich die wichtigsten Infos über Drogenkonsum aus dem Internet besorgt hatte.
»Wenn man das so liest«, überlegte sie. »Dann wird einem ja echt schlecht. Ich meine, schizophrene Schübe durch ein bisschen Kiffen – hätte ich nicht gedacht.«
»Na ja«, sagte Cornelius. »Das wird aber auch ganz schön übertrieben. Ich kenne genug Leute, die regelmäßig kiffen und ansonsten ziemlich normal sind.«
»Aber schau dir doch Ami an – hast du sie heute in der Schule gesehen? Die sah wie ausgespuckt aus. Grauenhaft. Möchte nicht wissen, was die so konsumiert.« Cornelius zog sein Jackett aus und hängte es über die Stuhllehne. In der Nachmittagssonne auf der Terrasse wurde es richtig warm.
»Die kifft aber nicht nur, die säuft auch ganz schön. Das ist das Problem.« Er zog Annes Papiere zu sich, nahm sich ein leeres Blatt und fasste in seine Jackentasche. Aber statt einen Stift herauszuziehen, fluchte er kurz: »Autsch.« Anne sah ihn irritiert an.
Cornelius holte einen Button hervor, dessen Nadel leicht hervorstand. Anne nahm ihn ihm aus den Händen und besah sich das Teil amüsiert. Ein achteckiger Anstecker in Quietschrot mit dem Schriftzug »Stoppt StrauSS« darauf.
»Was ’n das für ’n Teil?«
Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass er kurz rot wurde.
»Hab ich gefunden. Magst haben?«
Anne zuckte mit den Schultern. Hedi schaute zur Terrassentür heraus.
»Alles klar bei euch? Braucht ihr noch was? Eine Kanne Wasser?« Anne drehte sich zu ihr und lächelte sie dankbar an. Sie genoss es, so »bemuttert« zu werden, ohne dass es sich wie Überwachung anfühlte.
»Oh, was hast du denn da?«, fragte die alte Frau und kam näher. Anne streckte ihr den Anstecker entgegen.
»Hat Cornelius gefunden.«
Hedi lachte. »Das ist ja schon eine Antiquität. Wisst ihr, worauf sich der Spruch bezieht?«
Die beiden schüttelten die Köpfe.
»1980 hat sich der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zum Kanzlerkandidaten aufstellen lassen«, erklärte sie.
»War das der mit der ›Spiegel-Affäre‹ in den Sechzigern?«, fragte Anne.
Hedi nickte. »Da der ein, nun sagen wir mal, autoritärer und extrem konservativer Politiker war, haben vor allem junge Leute diese ›Stoppt-Strauß‹-Kampagne mitgemacht. Das war so die Zeit, als die Umweltschutzbewegung losging, die Grünen haben sich zu der Zeit gegründet, Anti-Atomkraft-Demos und so Sachen waren an der Tagesordnung.«
»Cool«, sagte Anne. »Warst du auch mal bei so was?«
Hedi schmunzelte verschmitzt und sah aus wie ein kleiner Hobbit.
»Einmal bin ich nach Wackersdorf gefahren, um gegen die Wiederaufbereitungsanlage zu protestieren. Ganz heimlich… Mein Mann und unsere Nachbarn wären entsetzt gewesen. Ich glaube, deine Großmutter hätte nie wieder mit mir gesprochen, wenn sie davon erfahren hätte. Hat den Anstecker jemand in deiner Familie getragen, Cornelius?« Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen und hob abwehrend die Hände.
»Never. Mein Vater ist heute noch ein großer FJS-Verehrer.«
»Wo hast du den denn gefunden?«, fragte Hedi interessiert. Eine kurze Stille entstand. Anne sah Cornelius mit unruhigem Blick an. Hatte er nicht noch den Schlüssel ihrer Großmutter? Für einen Moment war es, als tauschten sie telepathisch Gedanken aus.
»Soll ich es sagen?«, fragte Cornelius, ohne Anne anzuschauen. Trotzdem sah er ihr Nicken.
»Ich hatte gestern Abend tierisch Zoff mit meinem Vater. Er hat mich rausgeschmissen. Es hat geregnet, war schon spät, ich hundemüde. Und mir fiel ein, dass ich noch den Schlüssel in der Tasche hatte. Zum Haus. Von Annes Oma. Und da hab ich dann übernachtet. Und den Button gefunden.« Anne starrte auf das grellrote Teil.
»In seinem Zimmer?«, fragte Hedi leise. Das Leuchten in ihren Augen hatte
Weitere Kostenlose Bücher