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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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in kleinen Trippelschritten auf und ab zu gehen. Mit beiden Händen strich er sich immer wieder durch seine graue Lockenpracht, als versuche er, durch äußere Ordnung zu einer Lösung zu kommen. Schließlich trat er ganz nah an Anne heran. Sein Atem roch nach Rauch.
    »Dann bleibt mir keine Wahl. Bitte verlasse diesen Raum. Ich möchte nicht, dass du weiter im Chor mitsingst.«
    Anne schluckte. Sie spürte, wie ihre Knie zu zittern anfingen. Das konnte nicht sein Ernst sein. Aber sein wütender Blick, die zusammengezogenen Brauen bedeuteten ihr, den Saal möglichst schnell zu verlassen. Sie raffte ihre Noten zusammen und ging mit langsamen Schritten zur Tür. Es sollte nicht nach Flucht aussehen.
    Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich an die Wand daneben. Das Zittern in ihren Beinen hatte sie noch nicht unter Kontrolle. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Herz schlug hektisch. Und doch spürte sie, wie sich ein Lächeln in ihr Gesicht stahl. Nein, sie hatte nicht nachgegeben. Vor allen anderen war sie standhaft geblieben, hatte sich nicht einschüchtern lassen. Ja, man hatte sie aus dem Chor geworfen – aber sonst? Eine wilde Freude floss durch ihren Körper, sie rannte los, juchzte einmal laut durch den stillen Gang, in dem die dunklen Töne des Königs von Thule kaum widerhallten. Sie fühlte sich frei.
    »Alles in Ordnung?«, frage plötzlich eine Stimme hinter ihr.
    »Ja, alles klar«, sagte sie und ihre Freude brach in sich zusammen, als sie sich umdrehte. Sie sah erschrocken in Rosens lächelndes Gesicht. Auch sein Blick blieb an ihrem Button hängen, aber er verkniff sich jeden Kommentar.
    »Ist die Chorprobe schon beendet«, fragte er und sie nickte einfach. Er schien sie begleiten zu wollen, denn als sie weiterging, kam er mit.
    »Wie steht es mit dem Haus?«, fragte er.
    »Mein Vater hat es einem Immobilienbüro übergeben. Dem Büro Wallner und Partner, falls Sie noch Interesse haben.«
    »Wie schade«, sagte Rosen. »Da fällt dann gleich noch diese furchtbare Provision an. Ich hätte mich wirklich gerne so mit deinem Vater geeinigt. Zumal der Kollege von Derking plötzlich auch Interesse an dem Haus zu haben scheint. Erwähnte er neulich mal im Lehrerzimmer.« Anne hob bedauernd die Schultern, blieb jedoch stumm.
    »Und?«, fragte der Lehrer weiter. »Hast du immer noch nicht genug von meinem Sohn?«
    »Warum sollte ich?«, Anne spürte schon wieder Ärger aufwallen. »Er ist ein wirklich guter Freund. Ein toller Typ.«
    »Na ja«, sagte Rosen. »Ich kann dir nur raten, die Finger von ihm zu lassen. In Bangkok seinerzeit – und da war er ja erst 16 – hat er so manchem Mädchen das Herz gebrochen. Verbrannte Erde, sage ich nur.«
    »Ich kann auf mich selbst aufpassen«, sagte Anne patzig und bog auf die Mädchentoilette ab. Hierher konnte er ihr nun wirklich schlecht folgen.
    Die alten Kastanien im Park hinter dem Krankenhaus verstreuten ihre weißen und rosa Blütenblättchen auf den Wegen. Vorsichtig hob Cornelius’ Mutter Vera den Kopf und sah in die zartgrünen Äste hinauf.
    »Ist das nicht wunderschön?«, fragte sie und Cornelius bewunderte einmal mehr, wie sich die schwerkranke Frau immer wieder dazu aufraffte, ihrem Leben noch irgendetwas Positives abzugewinnen. Aber das war typisch für sie: Sie fühlte sich immer verpflichtet, Haltung zu wahren. Nicht einmal bei Freundinnen hätte sie sich je beklagt, dass ihr Mann sich so wenig um sie kümmerte. Sie betonte immer, wie stolz sie auf ihn sei, dass er es bis zum Konrektor der Schule gebracht, welch schönes Leben er ihr in Thailand ermöglicht hatte und wie sehr sie sein Verantwortungsbewusstsein der Familie gegenüber schätzte. Wenn sie solche Lobreden schwang, hatte sich Cornelius immer zurückgezogen.
    Nur mühsam kamen sie durch den Park voran. Vera Rosen hatte auf dem Spaziergang bestanden – sie wusste, dass Bewegung zwar schmerzhaft, aber notwendig war, um die Krankheitssymptome langsam in den Griff zu bekommen. Gerne hätte Cornelius seine Mutter untergehakt, aber jede Berührung schmerzte sie. Also begnügte er sich damit, sich auf ihr Tempo einzulassen. Er war nicht ganz bei der Sache und folgte ihren Geschichten aus dem Klinikalltag nur halb. Zu sehr beschäftigte ihn das Tagebuch von Andreas. Gestern Abend hatte er mühselig die ersten paar Seiten entziffert. Keine Frage – hier schilderte jemand, wie seine Welt langsam unterging. Auch was Hedi Aumüller über den Jungen erzählt hatte, ging ihm nicht

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