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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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ihrem Zimmer – jetzt sogar jemand, der sie in der Schule beobachtete. Ihr fiel ein, dass sie einmal die Toilettentür gehört hatte, während sie in der Kabine gewesen war. Nein, zwei Mal. Aber keine Geräusche von einem der Klos rechts oder links neben ihr. Keine Spülung. Was wollte dieser Jemand von ihr? Sie hatte doch gar nichts, was irgendwie von Wert sein könnte. Außer… hektisch durchwühlte sie die Tasche. Im letzten Moment bemerkte sie, dass sich der Bus ihrer Haltestelle näherte. Sie raffte alles irgendwie zusammen und stürzte aus dem Wagen. Was, wenn ihr Ami irgendwelchen Stoff untergeschoben hätte? Um sie noch einmal zu verpfeifen, um sie fertigzumachen, um sie… von Cornelius zu trennen. Kurzerhand schüttete sie den Inhalt ihres Rucksacks auf den Gehweg. Stifte kullerten die abschüssige Straße hinunter, Hefte wurden feucht, ein Buch schmutzig. Anne war es egal. Sie kauerte auf dem Boden, spürte etwas Nasses über ihre Wangen kriechen und betastete alle Gegenstände, als ob sie nicht wüsste, was da überhaupt vor ihr lag oder wonach sie suchte. Sie fand nichts, das ihr nicht gehört hätte, und nichts fehlte, nicht mal in ihrem Geldbeutel. Mühsam atmete sie tief durch. Sie wollte den Rucksack wieder packen, aber ihre Hände zitterten so sehr, dass sie es einfach nicht schaffte.
    »Alles in Ordnung, junge Frau?«, hörte sie eine Stimme neben sich. Erschreckt sah sie auf in die trüben Augen eines älteren Mannes. Sie nickte, flüsterte »schon gut, schon gut« und kam sich vollkommen irre vor. Glücklicherweise ging der Mann weiter, nur sein Hund schnupperte kurz an ihrer Hand.
    Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie schon auf dem Bürgersteig kauerte, aber irgendwann hielt ein Motorrad neben ihr. Cornelius sprang ab und begann, ihre Sachen in den Rucksack zu stopfen.
    »Was ist passiert?«, wollte er wissen. Sie öffnete ein paarmal den Mund, aber es kam kein Laut. Cornelius ließ sich neben sie auf die Erde sinken und legte seinen Arm um sie. »Sch«, machte er leise. »Es wird alles gut.«
    Eine halbe Stunde später saßen sie einander gegenüber im Nieselregen unterm Sonnenschirm im Garten. Anne erzählte, was in der Chorprobe geschehen war, konnte aber nicht erklären, warum sie vorhin so aufgelöst gewesen war. Jetzt war ihr das richtig peinlich. Heulend vor dem umgekippten Rucksack sitzen, in dem nichts außer ihren Schulsachen gewesen war.
    »Ich verstehe einfach nicht, was da jemand von mir will! Wenn ich was habe, was jemand möchte, dann kann er mir das doch sagen.«
    Cornelius legte den Kopf schief. »Na ja, außer es ist etwas, von dem derjenige nicht will, dass irgendwer was davon erfährt.«
    »Das ist doch lächerlich, was soll das denn sein?« Anne war regelrecht aufgebracht. »Dafür müsste dieser Jemand ja was Ungesetzliches oder so gemacht haben. Was hab ich denn mit so was zu tun? Und ich wüsste doch, wenn ich was Außergewöhnliches in meiner Schultasche hätte.«
    »Und du wärst eine Mitwisserin.« Er hob kurz die Augenbrauen.
    »Danke, Agent Cooper, mach mir Mut«, sagte Anne bockig.
    »Und was willst du jetzt deinem Vater sagen wegen dem Chor?«
    Anne starrte missmutig in die Bäume, vor denen der Regen wie ein Perlenvorhang hing. Sie zuckte mit den Schultern. »Vorhin hab ich noch gedacht, ich sag ihm einfach, wie es ist. Aber dann müsste ich ja auch von dem Anstecker erzählen, wo der herkommt, mit ihm über das Zimmer reden, über Andreas… ich weiß nicht, ob ich das packe.«
    »Du musst.«
    Anne kniff die Lippen zusammen, betrachtete ihre Finger.
    »Mensch, Anne, du kannst doch nicht immer hier in diesem Gefängnis leben. Du musst ganz einfach mit deinem Vater reden. Er muss kapieren, dass er dich nicht einsperren darf. Es gibt kein Rezept, Unglück im Leben zu vermeiden. Das gehört dazu zum Leben. Man nennt es Schicksal. Es sterben jedes Jahr mehr Menschen bei Unfällen im Haushalt als bei Verkehrsunfällen. Hey, hundertprozentige Sicherheit gibt es nie, nirgends! Leben birgt nun mal das Risiko, lebensgefährlich zu sein.«
    »Sag ihm das.«
    »Du bist seine Tochter.«
    »Hilf mir wenigstens, dass ich wieder im Chor mitsingen darf.« Wieso kam sie sich wie ein kleines Mädchen vor?
    »Geh hin zum Kini, entschuldige dich und er lässt dich garantiert wieder mitsingen. Er weiß, dass du die Beste bist.«
    »Oh Gott, ich bin schrecklich!« Wieder traten Tränen in ihre Augen. Am liebsten hätte sie sich selbst bei den Schultern gepackt und

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