Frostherz
Teller an die Spüle. »Nein«, sagte sie viel zu laut.
Mit zerknautschtem Gesicht und grimmigem Ausdruck betrat Brunner die Klasse. Es war, als ob seine schlechte Laune die Raumtemperatur um mehrere Grade abkühlte. Alle waren sofort ruhig.
»So, darf ich um Ihr Referat bitten, Anne Jänisch und Cornelius Rosen«, sagte er ohne einen Gruß. Anne nestelte nervös an den Papieren in ihrer Hand.
»Cornelius ist nicht…,« fing sie an.
Brunners Blick traf sie wie ein Schwerthieb. »Das sehe ich«, fauchte er. »Dann machen Sie das eben allein. Bekommt Ihr Kollege eben null Punkte. Hat er sich selbst zuzuschreiben.«
Anne stand auf, ihre Finger zitterten beinahe so schlimm wie neulich. Nicht nachdenken, befahl sie sich. Marita Jung in ihrer Küche. Die Exfreundin ihres Lehrers. Cornelius nirgendwo. Nicht auf dem Schulhof, nicht im Klassenzimmer. Nirgends hatte das rote Monster aufgeleuchtet.
Während sie hinter dem Pult stand, setzte sich Brunner auf dessen Ecke. Er roch nach Schweiß. Nach kaltem Rauch. Auch nach Alkohol? Sie war sich nicht sicher. Sie ratterte emotionslos ihr Referat herunter. Überschrift: Die Gefahren des Drogenkonsums. Welche Drogen es gab. Wie sie wirkten. Was sie anrichteten. Therapien und Hilfsmaßnahmen. Drogenprobleme global gesehen. Drogen als Auslöser von Kriegen. Drogen als Wirtschaftsfaktor. Ein paarmal musste Brunner unterbrechen, weil irgendwer Zettelchen weiterschob, jemand quatschte, einer auf dem Handy spielte. Ihr war alles egal. Brunner klang weiterhin scharf und aggressiv. Als sie fertig war, sagte er knapp: »Danke schön«, und sie konnte sich setzen. Er hatte sie im Stich gelassen. Wo war er bloß? Keine Meldung auf ihrem Handy zeigte an, dass er sich bemüht haben könnte, sie zu erreichen. Nur eine SMS ihres Vaters: »Mache heute frei. Holen dich von der Schule ab. Unternehmen was Nettes heute Nachmittag. Was du magst.« Nichts, hätte sie am liebsten zurückgeschrieben, lasst mich in Ruhe, lasst mich einfach in Ruhe.
Kurz vor der fünften Stunde hielt sie es nicht mehr aus. Sie konnte sich sowieso nicht auf den Unterricht konzentrieren, und da sie nur noch Sportunterricht gehabt hätte, täuschte sie Bauchschmerzen vor, was nicht einmal ganz gelogen war. Gnädig entließ die Lehrerin sie. Sie rannte fast aus dem Schulhaus, vergewisserte sich noch einmal, ob die Ducati wirklich nicht auf dem Parkplatz stand. Dann fanden ihre Füße wie von allein den Weg in die Altstadt. Das Barista hatte sie nach wenig Suchen gefunden.
»Entschuldigung«, fragte sie den Barmann mit dem Drei-Tage-Bart. »War Cornelius heute schon hier? Sie wissen schon, der…«
»Si, si«, sagte der Mann hinter dem Tresen. »No, er war nicht da. Alle letzten Tage nicht. Scusi! Soll ich was ausrichten, wenn kommt?« Sie schüttelte enttäuscht den Kopf und lief weiter. Wie gerne hätte sie es genossen, alleine und unkontrolliert durch die Straßen zu laufen… aber die düsteren Wolken um ihren Schädel wurden immer dichter. Schließlich stand sie vor der Villa. Sie war noch nie hier gewesen. Zögerlich ging sie näher. Hinter welchem Zimmer mochte wohl Cornelius wohnen? Vom Monster keine Spur. Sie wollte gerade umdrehen, aber da öffnete sich die Tür. Rosen sah zu ihr hinüber, grüßte freundlich.
»Wissen Sie, wo ich Cornelius finde?«, fragte sie. »Ich müsste dringend etwas mit ihm bereden.« Rosens Lächeln erstarb.
»Nein«, sagte er. »Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Kann ich was ausrichten? Worum geht es denn?«
»Etwas… Privates«, sagte Anne schnell.
»Du kannst gerne reinkommen und auf ihn warten.«
Annes Finger kribbelten. Als wären sie dabei einzuschlafen. Als wäre sie viel zu verkrampft.
»Ich wollte dich sowieso noch was fragen. Wegen des Hauses.«
»Ähm, ein anderes Mal gerne«, rief Anne und die Worte dröhnten in ihren Ohren. »Ich muss jetzt gehen. Mein Vater wartet auf mich. Wiedersehen.«
»Schade«, hörte sie ihn noch sagen.
Als sie abgehetzt an der Schule ankam, stand der Wagen ihres Vaters bereits davor. Marita war nicht mitgekommen. Mit einem kurzen Gruß stieg sie ein.
»Na, war Sport so anstrengend? Du hast ja einen richtig roten Kopf!« Anne nickte.
»Wo fahren wir hin?«
»Erst mal heim. Marita wartet dort auf uns. Sie fand es nicht so passend, mit hierherzufahren.« Anne nickte, schwieg aber.
»Anne, ich weiß«, begann Johann. »Das war alles nicht einfach für dich. Erst Omas Tod, dann… ich weiß nicht, ich kann dir nicht sagen, wie…
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