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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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wie das mit Marita und mir wird. Ich merke nur, sie tut mir sehr gut.«
    »Und magst du sie auch?« Es klang patzig.
    »Natürlich«, sagte Johann und seine Stimme wurde ganz weich. »Natürlich mag ich sie, sehr sogar. Sie sorgt für hellere Tage.«
    »Ja. Aber ihre Person! Sie um ihrer selbst willen. Magst du sie, weil sie sie ist?« Ihr Vater betrachtete sie irritiert von der Seite.
    »Was regst du dich denn so auf? Wenn ich sag, ich mag sie, dann mag ich sie. Oh, schau mal, ist das nicht dein Cornelius da vorne?«
    Anne folgte der Richtung, in die ihr Vater wies, mit den Augen. Tatsächlich – an der Ampel auf der anderen Straßenseite stand Cornelius. Trotz Helm erkannte sie ihn sofort. Er fuhr in Richtung Schule. Suchte er sie? Wollte er sie treffen?
    Sie drückte den Schalter, um das Fenster herunterzulassen.
    »Cornelius«, rief sie schon, aber da fuhr ihr Vater einfach weiter. »Halt, warte!«, stieß sie aus, aber Johann hörte nicht. »Ich will aussteigen!«, schrie sie nun, aber statt einer Antwort klickte nur die Taste, mit der die Türen von innen verriegelt wurden. Enttäuscht sank Anne in das Polster zurück.
    »Dieser Junge ist nicht gut für dich«, erklärte Johann an der nächsten roten Ampel. »Schau, wie der lebt –, er fährt Motorrad, er nimmt Drogen… lauter gefährliche Dinge!«
    »Er nimmt keine Drogen. Er kifft gelegentlich mal. Er ist mein bester Freund!«
    »Schatz!«, Johanns Stimme hatte wieder diesen Ton, für den sie ihn ermorden könnte: Vorgeblich voller Liebe, Sorge und Sanftheit, aber beigemischt waren Herablassung, Autorität und verletzter Stolz. »So jemand kann nicht dein Freund sein. Selbst wenn dir nichts passiert – so wie er lebt, kann ihm ganz schnell was passieren. Und was machst du dann? Dann stehst du da mit deiner Trauer, vielleicht sogar mit Schuldgefühlen, weil du ihm nicht geholfen hast. Das will ich dir ersparen, das sind keine Erfahrungen, die man machen muss, wirklich nicht, glaub deinem alten Vater!«
    Anne verschränkte die Arme. Es hatte keinen Sinn. An ihrem 18. Geburtstag – da würde sie einfach fortgehen. Fort von allem. Sie würde irgendwo neu anfangen, und wenn sie in einer Fußgängerzone singen müsste, um sich Geld zu verdienen.
    Marita stand in der Küche und bereitete einen Salat zu, als sie kamen.
    »Wisst ihr was?«, fragte sie fröhlich. Johann trat näher und küsste sie liebevoll auf die Schläfe. Anne meinte, ihr würde augenblicklich schlecht werden.
    »Ich habe gerade im Radio zwei Konzerttickets gewonnen«, strahlte sie. »Für heute Abend! Wer von euch beiden kommt mit?«
    »Für was denn?«, fragte Johann zögerlich.
    »Für The BossHoss.«
    Johann verzog das Gesicht. Nicht gerade seine Musik.
    »Anne, geh du doch mit«, schlug er vor. »Ich glaube, das würde dich etwas aufmuntern, meinst du nicht? Ich fahr euch hin und hol euch wieder ab.«
    »Mich würden ganz andere Sachen aufmuntern«, giftete sie ihren Vater an.
    »Ach, komm schon, ich würde mich sehr freuen, mit dir etwas zu unternehmen«, unterbrach Marita. »Dann können wir uns ein bisschen besser kennenlernen. Ich stelle auch keine indiskreten Fragen mehr, versprochen!«
    »Meinetwegen«, sagte Anne resignierend. Hauptsache, sie kam raus aus diesem Gefängnis.
    Er war die halbe Nacht herumgefahren. War schon auf der Autobahn Richtung Süden gewesen, hatte überlegt, einfach immer weiter zu fahren und nie mehr zurückzukommen. Als er wieder einmal unter einer Brücke warten musste, bis der heftigste Schauer vorbei war, hatte er beschlossen umzukehren. Er musste sich stellen. Dem, was auf ihn zukam. Er war es sich schuldig und ihr auch. Und er brauchte noch immer Gewissheit. Sonst würde er bis ans Ende seines Lebens ein Schattendasein führen. Wäre nie der, der er sein könnte. Immer hatte er geahnt, dass etwas nicht stimmte. Immer hatte er gespürt, dass sie ihm etwas verschwiegen. Etwas totschwiegen. Seine Mutter, fast so unschuldig weiß wie die weiße Bettwäsche, die weißen Wände, die weißen Schränke, die weiße Zimmerdecke, seine Mutter, die jeden Tag ein wenig durchsichtiger wurde, als wolle sie sich auslöschen lassen, sie hatte geschwiegen. Er hatte ihr Fragen gestellt, ganz vorsichtige Andeutungen gemacht. Über die Vergangenheit. Aber sie hatte nur gestöhnt. Zum ersten Mal hatte er den Eindruck, sie verstecke sich hinter ihren Schmerzen. Ihre Strategie, um die Wahrheit nicht sehen zu müssen. Nach einer stummen Stunde war er aufgesprungen und grußlos

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