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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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Ein dunkler Mercedes. Ein Mann sprang heraus, es war wohl ihr Vater.
    »Anne«, rief er, Panik in den Augen. »Bist du okay? Ist dir was passiert?« Sie schüttelte stumm den Kopf, betrachtete durch ihre über den Knien zusammengelegten Arme hindurch den schwarzen Asphalt. Das Regenwasser sammelte sich an der Kante zum Gehsteig. Es war nicht klar und durchsichtig. Etwas Rotes hatte sich eingeschlichen. Blut. Amis Blut. So, wie überall auf der Straße Amis Blut zu sehen war. Anne bildete sich ein, sie habe gesehen, wie ein Beatmungsgerät um Amis Kopf geschnallt worden war – oder hatte man doch mit einer Decke ihr Gesicht verhüllt? Sie war sich nicht sicher. Über nichts war sie sich sicher. Die Sicherheit in ihrer Welt war zerstoben. Sie spürte, wie Johann an ihr rüttelte, als wolle er sie aus ihrem Schweigen reißen, aber sie reagierte nicht.
    Sah den hellen Scheinwerfer. Der auf sie zuhielt. Auf sie oder auf Ami? Sie schloss die Augen, das Licht des Scheinwerfers war so grell. Sie konnte den Fahrer einfach nicht erkennen! Funken sprühten hinter ihren geschlossenen Lidern.
    »Ich bringe dich nach Hause«, sagte Johann. »Euch beide bringe ich nach Hause.«
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte eine raue Stimme und im ersten Moment wusste Anne nicht, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte. Als sie aufblickte, sah sie in die grauen Augen einer Polizistin mit dunklen, raspelkurzen Haaren und den sanften Gesichtszügen einer Madonna.
    »Können Sie mir etwas zum Unfallhergang sagen?«
    »Bitte, doch nicht jetzt«, schaltete sich Johann sofort ein. »Sie sehen doch, meine Tochter steht völlig unter Schock. Hat das nicht bis morgen Zeit?«
    »Nein«, erwiderte die Frau. »Ungern. Es gab wohl eine Fahrerflucht und da brauchen wir dringend Zeugenaussagen.«
    Anne schob Maritas Arm beiseite und stand auf.
    »Kommen Sie«, sagte sie zu der Polizistin. »Wo können wir reden?«
    »Das musst du nicht«, hörte sie Johann, aber das Lächeln der Polizistin überlagerte seine Stimme, bis sie wie belangloses Rauschen klang.
    »Dort hinten, im Bus«, sagte sie. »Mein Name ist Kerstin Fehlmeyer.«
    Im Bus war es behaglich, sie bekam ein Wasser und spürte jetzt erst, wie sehr ihre Kehle brannte. Hatte sie selbst auch geschrien?
    »Was haben Sie denn gesehen?«, fing Frau Fehlmeyer an. Anne räusperte sich. Sie sagte alles, was sie wusste. Gab auch zu, dass sie mit Ami gestritten, das Mädchen von sich gestoßen hatte. Nur eines sagte sie nicht: Dass es sich um ein rotes Motorrad gehandelt hatte. Vermutlich eine Ducati Monster, Baujahr 1994.
    »Ich war geblendet von dem Scheinwerfer«, sagte sie. »Ich konnte nichts erkennen.«
    Als sie auf der Bettkante saß, begannen ihre Finger wieder zu zittern. Sie hatte kurz überlegt, ob sie die Schlaftablette heute schlucken sollte, aber sie wollte ihren Verstand nicht ausschalten. Es war doch wichtig, klar zu bleiben im Kopf. Ganz klar. Sie musste darüber nachdenken, ob es ihre Schuld gewesen war. Hatte sie Ami so geschubst, dass sie mit dem Motorrad kollidiert war? Es war alles so rasend schnell gegangen. Ami hatte sie auf der Treppe nach unten gestoßen. Sie hatte Anne verfolgt, sie festgehalten. Dann hatte Marita geschrien. Anne hatte sich nur losmachen wollen von Ami. Der Scheinwerfer, er kam immer näher. Er hatte auf sie zugehalten. Er hätte doch bremsen können. Warum hatte er nicht gebremst? Warum war er nicht ausgewichen? Die Straße war nass gewesen. Der Motorradfahrer. War es Cornelius gewesen? Hatte er sich hinter den Lenker geduckt? Warum nur? Hatte er es auf Ami abgesehen – auf sie selbst? Das machte alles keinen Sinn! Sie drückte zum zehnten oder elften Mal seine Nummer. Aber wieder sprang nur die Mailbox an. Sie unterdrückte ein Wimmern. Wo war er? Sie umklammerte das Kissen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Dieses Zittern sollte endlich aufhören. Aber als ihre Hände stillhielten, spürte sie, wie ihr Unterkiefer begann. Wie ihre Zähne aufeinanderschlugen, als sei sie ausgesetzt auf einer Eisscholle. Und kein Ufer war zu sehen.
    Nach etwa zwei Stunden schaltete sie das Licht an. Halb vier. Ihr Nachthemd war schweißnass, im Zimmer war es stickig und warm. Sie zog den Rollladen hoch, öffnete das Fenster und sog gierig die kühle Nachtluft ein. Zwei Stunden hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Jedes Mal war der Film von vorne losgegangen. Ami. Der Stoß. Das Motorrad. Der Scheinwerfer. Der Schrei. Die Stille. Das große

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