Frostnacht
versucht hätte, hätte Nickamedes sich nur darüber beschwert, dass ich Brösel auf seinen kostbaren Büchern verteilte. Gegen ihn konnte ich einfach nicht gewinnen.
»Jetzt, wenn du so freundlich wärst, Gwendolyn.«
»Ja, Meister«, moffelte ich.
Nickamedes kniff bei meinem bissigen Kommentar die Augen zusammen, aber das war mir egal. Ich bedachte mein Essen noch mit einem langen, sehnsüchtigen Blick, bevor ich die Bücher fester packte und in die Regalreihen schlurfte.
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, Bücher zurück in die Regale zu räumen. Als ich endlich zu meinem Essen zurückkehrte, war die warme, weiche Brezel hart und die flüssige Käsesoße zu einem kalten Brocken erstarrt. Also schmiss ich beides in den Müll und begnügte mich mit dem Brownie und dem Wasser.
Ich leckte gerade die letzten Schokoladenbrösel von meinen Fingern, als Nickamedes hinter den Tresen trat. Anscheinend hatte er ebenfalls Ravens Kaffeewagen besucht, dem Blaubeermuffin und der Wasserflasche in seinen Händen nach zu urteilen. Nickamedes nahm einen Schluck von seinem Wasser, dann stellte er die Flasche direkt neben meine auf den Tresen. Ich schob meine Flasche vorsichtig ein Stück zur Seite und drehte sie so, dass das Etikett Richtung Bibliothek zeigte. Damit wollte ich sicherstellen, dass ich die Getränke auseinanderhalten konnte. Ich hatte keine Lust, aus Versehen Nickamedes’ Bazillen zu schlucken. Dabei konnte ich mir sicher etwas Schreckliches einfangen, wie, na ja, zum Beispiel Pünktlichkeit. Außerdem fiel mir auf, dass der Bibliothekar keine Anstalten machte, seinen Muffin eine Weile rumliegen zu lassen, während er für einen Professor etwas im Computersystem nachsah.
Ich bedachte Nickamedes immer noch mit wütenden, eifersüchtigen Blicken, als Oliver Hector an den Ausleihtresen trat. Sandblondes Haar, grüne Augen, tolles Lächeln, muskulöser Körper. Der Spartaner war süß, aber, noch wichtiger, er war einer meiner Freunde. Oliver beobachtete, wie ich den Bibliothekar belauerte.
»Weißt du, wäre ich Nickamedes, wäre ich froh, dass du nur Berührungsmagie besitzt und nicht die Fähigkeit, Feuerbälle aus den Augen zu verschießen«, sagte Oliver langsam. »Sonst wäre Nickamedes jetzt nur noch ein rauchender Aschehaufen.«
Ich verdrehte die Augen, musste aber gleichzeitig lachen. »Nun, na ja, hätte ich diese Gabe, würde ich sie mir für die Schnitter aufsparen. Ich hätte nichts dagegen, Vivians Gesicht zu schmelzen. Oder das von Agrona.«
»Ich denke, das würde keinem von uns etwas ausmachen«, gab Oliver zurück.
Ich dachte an meinen wiederkehrenden Albtraum. Vielleicht könnte ich das nächste Mal, anstatt mich von Logan angreifen zu lassen, versuchen mich von der Bühne zu stürzen und gegen Vivian und Agrona zu kämpfen. Zweifellos würden sie mich in meinem Traum töten, aber das wäre nicht so schlimm, wie wieder einmal von Logan erstochen zu werden – und dabei in seine schnitterroten Augen sehen zu müssen.
Oliver wanderte um den Tresen, stellte seine Tasche neben meine und setzte sich auf einen Stuhl, der hinter mir an der Glaswand stand.
Ich runzelte die Stirn. »Was tust du da?«
Er zuckte mit den Achseln. »Alexei hat ein längeres Meeting mit den anderen Protektoratswachen, also hat er mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben, bis er kommt.«
Ich seufzte. »Ich bin absolut fähig, auf mich selbst aufzupassen. Das weißt du, oder? Das habe ich doch inzwischen oft genug bewiesen.«
»Ich weiß«, antwortete Oliver. »Aber ich bin mir auch der Tatsache bewusst, dass die Schnitter es auf dich abgesehen haben, Gwen. Also entspann dich einfach und lass zu, dass wir dir den Rücken decken, okay?«
Ich seufzte wieder. Er hatte recht, aber manchmal fühlte ich mich so hilflos – so nutzlos –, weil ständig jemand auf mich aufpasste, ob es nun Alexei, Oliver, Daphne oder einer meiner anderen Freunde war. Ich war im Visier der Schnitter und meine Freunde jetzt ebenfalls. Und das einfach nur, weil sie eben meine Freunde waren. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun würde, wenn meinetwegen einem von ihnen etwas passierte – wenn einer von ihnen einen Pfeil oder einen Dolchstich abfing, der gegen mich gerichtet war. Aber egal was ich sagte oder tat, meine Freunde hielten zu mir und erzählten mir immer wieder, dass wir gemeinsam in dieser Sache drinhingen. Ihre Sturheit sorgte dafür, dass ich schreien wollte – und wegen ihrer Loyalität gerührt weinen.
»Ist gut, ist
Weitere Kostenlose Bücher