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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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gut«, murrte ich. »Du darfst bleiben. Aber nur, weil du so schnucklig bist und ich etwas Hübsches zum Anschauen brauche.«
    Olivers Grinsen wurde breiter. »O Gypsy. Du bist ja so gut im Süßholzraspeln.«
    Wieder verdrehte ich die Augen, und Oliver lachte.
    Die nächsten zwei Stunden zogen sich zäh wie Kaugummi dahin. Ich erledigte all meine üblichen Aufgaben. Räumte Bücher in die Regale. Half Schülern dabei, Nachschlagewerke für ihre Hausaufgaben zu finden. Ich staubte sogar ein paar der Artefakt-Vitrinen ab, die zwischen den Regalen verteilt standen.
    Diese Aufgabe ließ mich an Rans Netz denken, das ich zur Sicherheit ganz unten in meine Tasche geschoben hatte. Natürlich hatte ich das Netz, nachdem Alexei, Daphne und ich es vor ein paar Tagen aus dem Kreios-Kolosseum nach Mythos gebracht hatten, Professor Metis gezeigt, aber die Professorin wusste auch nicht, warum es so besonders sein sollte. Also hatte sie mir erklärt, ich solle es für den Moment einfach behalten. Ich hatte keine Ahnung, wofür das Netz gut sein sollte, wenn es zwischen meinen Comics und der Dose in Form eines riesigen Schokokekses steckte. Aber wie Metis gesagt hatte, so wussten wir zumindest, wo es sich befand.
    Nachdem ich sonst nichts mehr zu tun hatte, beschloss ich, mir das Netz noch mal anzusehen. Ich griff in meine Tasche und zog eine kleine weiße Karte heraus, die neben dem Netz in der Vitrine gelegen hatte. Dann las ich mir die Erklärung noch einmal durch, obwohl ich sie mindestens schon ein Dutzend Mal gelesen hatte.
    Von diesem Netz wird angenommen, dass es Ran, der nordischen Göttin der Stürme, gehörte. Angeblich war es ihr Lieblingsstück unter den Angelgeräten. Trotz seines zerbrechlichen Aussehens ist das Netz sehr stark und kann mehr halten, als es angesichts seiner relativ geringen Ausmaße eigentlich sollte. Der geflochtene Seetang selbst soll die Eigenschaft besitzen, alles, was sich innerhalb des Netzes befindet, leichter erscheinen zu lassen, als es tatsächlich ist.
    Die Karte beschrieb dann noch einige der mythologischen Kreaturen, die Ran angeblich mit dem Netz gefangen und gezähmt hatte, aber den Rest des Textes überflog ich nur noch.
    Stattdessen griff ich wieder in meine Tasche und zog das fadenscheinige Netz selbst hervor. Zu meiner Überraschung hatte es sich mühelos falten lassen. Ich hatte es wieder und wieder zusammengelegt, bis das Ganze kaum größer und dicker war als ein Gürtel. Ich schob die Finger in einige der Maschen und griff nach meiner Magie.
    Doch das Einzige, was ich sah, war das endlose Heben und Senken des blaugrünen Ozeans. Ich fühlte nur eine sanfte, dauerhafte Bewegung, als dümpelte ich wie ein Angelköder auf den Wellen. Der scharfe Geruch der See stieg mir in die Nase, während das sanfte Geräusch von Wellen in meinen Ohren widerhallte. Ich leckte mir die Lippen und schmeckte Salz. Weiteres Salz schien sich auf mein Haar zu legen, und ich fühlte förmlich Sandkörner auf meiner Haut, als hätte ich den Tag am Strand verbracht.
    Die Eindrücke waren nicht unangenehm. Tatsächlich gehörten die Gefühle zu den nettesten, die ich seit langer Zeit mit meiner Magie aufgefangen hatte. So angenehm, so gleichmäßig, so beruhigend, dass es mir mühelos möglich gewesen wäre, mich von den Wellen davontragen zu lassen – und all meine Ängste und Sorgen und den Herzschmerz zurückzulassen.
    Doch ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen, also konzentrierte ich mich intensiver, richtete meine gesamte Aufmerksamkeit auf das Netz und die Bilder, Erinnerungen und Gefühle, die damit verbunden waren. Doch weder die Szenerie noch die Empfindungen änderten sich. Nach ein paar Sekunden öffnete ich die Augen, löste meine Finger von dem grauen Seegras und stopfte Netz und Karte zurück in meine Tasche.
    »Was Neues?«, fragte Oliver, der mich beobachtet hatte.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte.«
    »Aber Nike hat es dir gezeigt, also muss es wichtig sein, oder?«
    »Davon gehe ich aus. Obwohl ich keine Ahnung habe, was ich mit einem mythologischen Fischernetz anfangen soll, wo wir doch Hunderte Kilometer vom Meer entfernt sind.«
    Mein Blick wanderte nach oben, auf der Suche nach Inspiration – oder einem anderen Hinweis. Monatelang hatte ich nur Dunkelheit wahrgenommen, wann immer ich versucht hatte, die Decke der Bibliothek der Altertümer zu sehen. Doch vor ein paar Wochen hatte Nike mir ein erstaunliches Fresko gezeigt, das unter den Schatten

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